Kurz vor Weihnachten drehte sich fast alles um den „Telemarathon“: die Verteilung von 50.000 Puppen und Autos an die ärmsten Kinder der Stadtrandviertel. Um die Geschenke zu finanzieren, sammelte Obermaier nun sogar Altpapier und Plastikflaschen.
Obermaier (77) ist einer der außergewöhnlichsten Pfarrer der Welt. Wenn es um das Wohl „seiner“ Aymara-Indianer geht, schlüpft Boliviens „Mann des Jahres 2004“ in verschiedenste Rollen. Arzt und Zahnarzt ist der Priester schon gewesen, auch Geburtshelfer, Entwicklungshelfer, Sozialarbeiter, Schulgründer, Architekt und Rettungsengel im Bürgerkrieg. 2011 wurde der „Padre“, wie er in Bolivien genannt wird, auch noch zum Straßenbauingenieur, Umweltschützer und Segensspender für Minister.
Die Idee mit dem Altpapier hatte Piedro Vargas. Das ist der neue starke Mann an der Seite Obermaiers im „Brennpunkt“ El Alto – jener Stadt, die über den Dächern von La Paz in kürzester Zeit zur Millionen-Metropole „explodierte“, nun sogar größer ist als die 400 Meter tiefer im Talkessel gelegene Hauptstadt. Das wäre ungefähr so, wenn auf dem Samerberg so viele Häuser aus dem Boden schießen würden, dass der Ort größer als Rosenheim ist und bis an den Rand der Innstadt heranreicht.
Vargas ist seit kurzem Chef der Stiftung „Cuerpo de Cristo“ (so heißt auch Obermaiers Pfarrei in El Alto). „Er hat mich zum Lumpensammler ernannt“, bringt der Priester in der für ihn typischen bildhaften Sprache seine neue Mission auf den Punkt.
Wochenlang sammelte er mit seinen Leuten bei Firmen und in der Bevölkerung Papier, Kartons und Plastikflaschen. Eine Recyclingfirma holt die Altstoffe ab und zahlt der Pfarrei 50 Prozent des Wertes aus. „Ich fühle mich recht wohl als Padre gegen die Umweltverschmutzung“, betont Obermaier. Zumal die Aktion ein voller Erfolg war: Sie spülte so viel Geld in die Telemarathon-Kasse, dass der Pfarrer kurz vor Heiligabend mit 50.000 Puppen und Spielzeugautos nicht nur Kinder in La Paz und El Alto glücklich machen kann, sondern erstmals auch in Santa Cruz.
Minister bitten: „Padre, segne mich!“
Der Telemarathon ist eine weitere Erfindung des Padre. Stundenlang dreht sich im Radio und im Fernsehen alles darum, den ärmsten Kindern des Landes ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Aber natürlich ist der Kampf gegen Armut, Kriminalität und Gottlosigkeit mit Spielsachen nicht zu gewinnen. Diesbezüglich war 2011 für Obermaier ein besonders spannendes Jahr. In Bolivien führte Staatschef Evo Morales die absolute Trennung von Kirche und Staat ein. Gleichzeitig stellte Obermaier in Bayern mit der Gründung der Stiftung „Bolivienhilfe Padre Obermaier e.V.“ weitere Weichen für den langfristigen Fortbestand der sozialen Hilfsprojekte auch nach seinem Tod. Zur Vereinsgründung kam es übrigens in Schloss Maxlrain.
Zurück in Bolivien, bestätigten sich die Befürchtungen der vielen Katholiken in Bolivien (92 Prozent der Bevölkerung) nicht. Christliche Gottesdienste und Prozessionen wurden von der neuen Regierung nicht behindert, im Gegenteil: „Der Präsident hat eine Kehrtwende gemacht“, so Obermaier, und sei beim „Te Deum“ mit seinen Ministern dabei gewesen. „Und ein großer Teil der Regierungspartei bittet mich: ,Padre, segne mich!’“
Ein weiterer großer Tag war die Einweihung des Gesundheitszentrums. Ohne die vielen Freunde und Gönner in Rosenheim wäre es nie gebaut worden. Das „Centro de Salud San Sebastián“ ist nur ein Projekt von vielen, das der Priester mit den schlohweißen Haaren mit seiner beherzt-zupackenden Art auf den Weg gebracht hat. Über seinen mehrfach ausgezeichneten Fernsehsender „Canal 57“ erreicht er mit seinen Predigten jeden Tag 800.000 Menschen, in mehreren Einrichtungen kümmert er sich um Menschen, die alt, krank, hilflos, allein oder behindert sind – und um Opfer von Gewalt, Missbrauch und Kriminalität.
Keine „Sozialmaut“ für den Erfinder der Autobahn auf Stelzen
Stiftung „Bolivienhilfe Padre Obermaier e.V.“
Kontakt: Hans Obermaier, Zeisigweg 30, Rosenheim, Tel. 08031 / 3043632
Spenden: Kath. Kirchenstiftung St. Nikolaus, „Bolivienhilfe P. Obermaier“, Hypo-Vereinsbank Rosenheim, Konto 6210109682, BLZ 71120077
Um den Betrieb in den Heimen und im Sender am Laufen zu halten, ist der Padre ständig auf der Suche nach Förderern. Mit seinen sozialen Projekten und Einrichtungen verhält es sich nämlich nicht so wie bei der „autopista elevada“ – jener „Autobahn auf Stelzen“, die Obermaier der verblüfften Öffentlichkeit präsentiert hatte, weil ihm die Vorschläge der Baubehörden zur Bekämpfung der Verkehrsmisere zwischen La Paz als nicht effektiv genug erschienen waren. Die zweistöckige „autopista“ – ein 160-Millionen-Euro-Projekt – wird nämlich von Investoren aus der Wirtschaft finanziert, nachdem sich der Stadtrat von El Alto vor wenigen Wochen geschlossen für das Obermaier- Modell stark machte. Schade, dass der Erfinder keine „Maut für Soziales“ verlangen darf. Verdient hätte er sie sich längst. Zumal er nur nebenbei Papiersammler und Straßenplaner ist, weil er den Großteil seiner Kraft weiterhin in die Seelsorge, das Messelesen und die Beichte investiert.
Stiftung „Bolivienhilfe Padre Obermaier e.V.“, Kontakt: Hans Obermaier, Zeisigweg 30, Rosen- heim, Tel. 08031/30 43 632. Spenden: Kath. Kirchenstif- tung St. Nikolaus, „Bolivienhilfe P. Obermaier“, Hypo-Vereins- bank Rosenheim, Konto 6 210 109 682, BLZ 711 200 77.