Viele wollen querweltein Gutes tun, aber pro Jahr werden nur gut 100 deutsche Entwicklungshelfer gesucht. Westliche Organisationen stehen vor einem Umbruch. Olga Almqvist, 28, arbeitet für die Welthungerhilfe in Haiti, Bernhard Meier zu Biesen seit vier Jahrzehnten in Afrika.
Manchmal weiß Olga Almqvist nicht, ob das, was sie da sieht, real ist. Zum Beispiel, wenn sie sich eine Pizza bestellt und einen Blick auf die Verpackung wirft. Dort kann ihr Bote als Grund für mögliche Verspätungen neben Stau und Unwetter auch Kidnapping angeben. Gewundert hat sie sich auch letztes Jahr, als die Bewohner den für Tiermasken berühmten Karneval feierten - und sich als Wasserhähne, Chlorox-Flaschen oder Viren verkleideten. Später verstand sie: Die Feiernden wollten ihre Angst vor der Cholera wegtanzen.
Olga Almqvist, 28, würde gern darüber lachen, so wie ihre deutschen Freunde. Aber das ist schwer in einem Land wie Haiti. Vor allem, wenn man Entwicklungshelfer ist. Als sie im Sommer 2010 in Haiti ankam, war an Pizza und Karneval noch nicht zu denken. Zu groß war das Chaos. Sechs Monate zuvor hatte ein gewaltiges Erdbeben mit der Stärke 7,0 den Karibikstaat verwüstet: 230.000 Tote, 190.000 zerstörte Häuser, 30 eingestürzte Krankenhäuser. Eine Insel, begraben unter 19 Millionen Kubikmetern Schutt.
Damals lautete die Frage für viele Entwicklungshilfearbeiter nicht unbedingt: Wie baut man dieses Land wieder auf? Denn schon vor dem Beben hatte nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu einer gesicherten Wasserversorgung. Die Frage war vielmehr: Wie baut man dieses Land überhaupt auf?
Lokale Mitarbeiter sollen Projekte weiterführen
Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Denn auch die Entwicklungshilfe befindet sich im Wandel, immer stärker übernehmen lokale Mitarbeitern vor Ort die Aufgaben. Für Helfer aus Ländern wie Deutschland bedeutet das: Sie müssen ihre Arbeit neu definieren.
Olga Almqvist analysiert für die Welthungerhilfe in Haiti die Nachhaltigkeit von Landwirtschaftsprojekten. "Schließlich wollen unsere Spender in Deutschland nicht in ein Fass ohne Boden spenden, sie erwarten zu Recht ein ehrliches Feedback über die geleistete Arbeit und die bislang erreichten Ziele." Dazu gehört es auch, lokale Mitarbeiter so gut einzuarbeiten, dass sie möglichst bald die Welthungerhilfe-Projekte selbständig weiterführen.
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Kulturschock: Arbeiten in fremden Welten
Um daran mitzuwirken, muss man kein geborener Abenteurer sein. Arbeitsmöglichkeiten finden Deutsche zum Beispiel in Programmen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE).
Olga Almqvist ist der Berufseinstieg geglückt, nachdem sie Politik und Internationale Beziehungen an der Pariser Hochschule Sciences Po studierte - erst im französischen Poitiers, dann in Buenos Aires und Paris. "Ein, zwei Fremdsprachen sollten angehende Entwicklungshelfer schon beherrschen", sagt sie. Auch in Deutschland bereitet eine Reihe von Studiengängen auf Jobs in der Entwicklungshilfe vor, etwa das Ergänzungsstudium "Seminar für ländliche Entwicklung" an der Berliner Humboldt-Universität.
"Manche Entwicklungshelfer wollten nur durch die Welt reisen"
Einen Königsweg gibt es nicht - und man braucht Glück. Denn offene Stellen sind rar, pro Jahr werden nur rund 100 deutsche Entwicklungshelfer gesucht, und oft sind die Jobangebote zeitlich begrenzt. "Viele suchen eine Möglichkeit, eine interessante Karriere mit sozialem Engagement gegen Ungerechtigkeit und Armut verbinden zu können", erklärt Anne-Meike Fechter von der Sussex University in England. Die Professorin beschäftigt sich seit Jahren mit der Arbeit von Entwicklungshelfern und sieht sehr unterschiedliche Wege in den Beruf: "Manche Entwicklungshelfer wollten eigentlich nur durch die Welt reisen und sind nach und nach in ihre Leidenschaft hineingewachsen."
"In der akademischen Welt konzentrierte sich die Debatte über Entwicklungshilfe bis vor kurzem auf die Hilfe selbst - und nicht auf die Helfer. Doch das beginnt sich nun zu ändern", so Fechter. Diese neue Aufmerksamkeit kann jungen Entwicklungshelfern neue Möglichkeiten eröffnen: Je intensiver sich Entwicklungsorganisationen selbst hinterfragen, desto mehr könnten die Ideen junger Helfer gefragt sein. "Entwicklungshilfe kann nur effektiv sein, wenn die Organisationen optimale Bedingungen für ihre Helfer schaffen", sagt Fechter. Doch weltweit kennen die Mitarbeiter ähnliche Probleme: hohe Bürokratie-Hürden, die Ungewissheit, ob die eigene Arbeit wirklich etwas bewegt - und das Leben in der Ferne.
Bernhard Meier zu Biesen hat das Leben in der Fremde nie zugesetzt. Seit fast 40 Jahren ist er dabei, lernte in Timbuktu Französisch, brachte sich in Tansania Swahili und in Damaskus Arabisch bei. "Jetzt ist meine Festplatte voll", sagt er, lacht und zieht an seiner Zigarette. Aus seinem Büro in Kigali, Hauptstadt von Ruanda, sieht Meier zu Biesen den roten Staub auf der Palme vor seinem Fenster. Seit April 2011 leitet er das Welthungerhilfe-Büro in Kigali, heute ist sein letzter Arbeitstag. Am Abend wird er in ein Flugzeug nach Deutschland steigen und rund elf Stunden gen Heimat fliegen.
Letzter Arbeitstag in Ruanda
Als Meier zu Biesen in den siebziger Jahren in Tansania ankam, mussten Tischler noch aus Deutschland eingeflogen werden. "Das alles hat sich verändert. Deutsche Helfer werden zunehmend zu möglichst objektiven, unabhängigen, neutralen Beobachtern und Koordinatoren, die mit ihrem speziellen Fach- und Erfahrungswissen Impulse geben." Er selbst sehe sich als "Software-Entwickler": "Wir müssen den Menschen die Chance auf eine gute Ausbildung ermöglichen, damit sie ihre Probleme selbst lösen können." Die westliche Entwicklungshilfe stehe vor einem gewaltigen Umbruch: Die klassische Hilfe werde verschwinden - Hilfe zur Selbsthilfe und wirtschaftliche Kooperationen würden zunehmen.
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Wenn Meier zu Biesen das sagt, klingt es nicht wehmütig. Er hat es kommen sehen und gewünscht. "Viele asiatische Organisationen und Experten bieten wirtschaftliche und landwirtschaftliche Aufbauarbeit zu niedrigeren Preisen als viele deutsche Organisationen", so Meier zu Biesen. Offizielle Ausschreibungen sind heute härter umkämpft. Und der Wettbewerb aus Asien ist nur eine der Hürden, der sich europäische Entwicklungshelfer in Zukunft stellen müssen.
Bernhard Meier zu Biesen muss jetzt noch ein bisschen packen. Was er in Deutschland machen wird? Bislang habe er am Ende eines Einsatzes nie gewusst, wohin es ihn als Nächstes verschlage. "In den letzten 40 Jahren habe ich dennoch immer wieder Glück gehabt. Da wird sich schon etwas finden."
Seine Entwicklungshilfe-Organisation hat zum Ziel, sich selbst überflüssig zu machen - wenn der Hunger besiegt ist, braucht es keine Welthungerhilfe mehr. An Rente kann Bernhard Meier zu Biesen folglich erst denken, wenn er nicht mehr gebraucht wird. Vor ihm und seinen jungen Kollegen dürfte noch eine Menge Arbeit liegen.