Haiti nach dem Erdbeben: Die Hilfe braucht einen langen Atem
Und plötzlich war Reinhard Gertz „Zahnarzthelfer“: Im Krankenhaus von Saintard, wo die amerikanischen Zahnärzte die gravierendsten Zahnerkrankungen behandeln, hält er hier den Kopf eines Patienten, dem ein Zahn gezogen wird. Wer kaum etwas zu essen und zu trinken hat, hat andere Probleme als die Zahnpflege.
Foto: Privat
Haiti/Bad Segeberg – Der Segeberger Reinhard Gertz berichtet von der Aufbauarbeit des Kinderhilfswerkes Global-Care.
Im Februar 2010 berichteten die LN über die ehrenamtliche Arbeit von Reinhard Gertz. Der Bad Segeberger ist Vorstandsmitglied vom Kinderhilfswerk Global-Care, das der „Gemeinde Gottes“ nahe steht. Kurz nach dem Erdbeben auf Haiti, bei dem mindestens 200 000 Menschen zu Tode kamen, war er auf der Insel, um einen Hilfseinsatz zu koordinieren. Wie sieht es inzwischen dort aus? Was hat sich verbessert? Wie leben die Menschen auf Haiti heute? Gertz war wieder dort, um sich ein Bild zu machen.
Als der pensionierte Manager vor eineinhalb Jahren half, ein Krankenhaus in Saintard (50 Kilometer von der Hauptstadt Port-auPrince entfernt) aufzubauen, das großenteils zerstört war, hatte er sich gesagt: „Wir brauchen hier etwas Nachhaltiges.“ Denn der 58-Jährige hat rasch erkannt: Es gilt nicht nur, Opfer medizinisch zu versorgen, sondern auch darum, etwas für die Kinder zu tun, die plötzlich ohne Eltern dastanden.
Gertz: „Wir erfuhren von einem Pastor in Pignon, eine Flugstunde von der Hauptstadt entfernt. Er hat viele Flüchtlinge und Waisen aufgenommen.“ Er hat dort ein Grundstück, wollte darauf ein Waisenheim errichten. „Und das unterstützen wir“, sagt Geertz, zusammen mit der „Aktion Deutschland hilft“. In Segeberg hat Gertz frühzeitig für das Projekt geworben. Landfrauen und andere Gruppen wollten helfen, dort ein Heim zu bauen, berichtet er. Außerdem sollte das Krankenhaus weiter ausgebaut und mit Ausrüstungsgütern versorgt werden: „Da war fast nichts im Operationsraum.“
Gertz nach der Rückkehr: „Mittlerweile ist dort von Amerikanern und mit unserer Hilfe eine orthopädische Werkstatt eingerichtet worden. „Diese Werkstatt soll die, die durch das Erdbeben einen Arm oder ein Bein verloren haben, mit Prothesen versorgen. Und wir wollen Haitianer ausbilden, dass sie ihre Landleute selber damit versorgen können.“ Ein Therapiezentrum soll angegliedert werden. Kurz vor seiner jüngsten Reise nach Haiti hat er Kontakt zu einem pensionierten Segeberger Optiker gefunden. „Dem liegt am Herzen, Leuten in der Dritten Welt beizubringen, Augen zu prüfen.“ Gertz: „Da wurde mir erstmals bewusst, dass auf Haiti kaum jemand eine Brille trägt.“ Und das liege nicht an der guten Sehkraft der Menschen. Die Idee: „Wir wollen jetzt zusammen mit einem Senioren-Expertenservice Einheimische die Augenprüfung lehren.“ Innerhalb von sechs Wochen könne man Haitianern beibringen, Augenprüfungen und das Schleifen der Brillengläser vorzunehmen, habe der Segeberger Optiker gesagt. Die Geräte, wie etwa Augenscanner, sollen von Global-Care gestellt werden. Das Therapie- und Augenzentrum ist allerdings noch nicht gänzlich finanziert, Spenden würden noch benötigt. Immerhin sind die Räume zwar da, aber noch nicht richtig ausgebaut. Gertz: „Was man in Haiti schnell lernt: Dort dauert alles etwas länger als man denkt.“
Das sei überall zu sehen. Zwar gebe es nicht mehr so ganz primitive Unterkünfte wie nach dem Erdbeben. Sehr viele Hütten seien inzwischen errichtet worden. Die medizinische Versorgung habe gute Fortschritte gemacht. Dennoch seien viele Häuser noch zerstört, immer noch lebten viele Menschen in den Lagern von damals. Und viele Straßen seien in erbärmlichem Zustand. Ohne Geländewagen erreiche man viele Orte kaum.
Doch dank vieler Spenden – allein Global-Care habe mit etwa 100 000 Euro helfen können –, und dank des Einfallsreichtums vieler Hilfskräfte entspanne sich die Situation allmählich. Gertz: „Vor allem US-Ärzte sind Organisationsgenies.“ Die hätten in Saintard schnell eine Bude zu einem (Zahn-)OP-Zentrum ausgebaut. Und da würden Zähne wie am Fließband gezogen – mit „Zahnarzthelfer“ Gertz am Behandlungsstuhl: „Wo tut’s weh? Spritze ’rein. Warten, Ziehen. Der Nächste! Wo tut’s weh? Spritze ’rein . . .“ Gertz’ Aufgabe: Die Köpfe der Patienten festhalten. „Die Zahngesundheit auf der Insel ist verheerend“, sagt er. Bis Haiti allein klar kommen werde, brauche man viel Geduld. „Experten schätzen, dass es noch zehn Jahre dauert, bis der Wiederaufbau richtig vorangeschritten ist.“ Behörden, wie wir sie kennen und die entsprechende Ordnung gebe es nicht. „Viele leben in totalem Dreck“ – Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, sichere Stromversorgung: Das sei für Viele ein Traum. Gertz: „Haiti kann sich noch nicht selber helfen. Es ist ein so armes Land . . .“