Kerstin Finger ist Dentistin in der Uckermark. Als erste in Deutschland macht sie Hausbesuche. Die 51-Jährige ist eine Pionierin im besten Sinn, die lange für ihre Idee werben und kämpfen musste.
Um die Versorgung ihrer Eltern muss sich Angela Merkel keine Sorgen machen. Sollten Herlind und Horst Kasner eines Tages nicht mehr allein zum Zahnarzt gehen können, dann kommt Kerstin Finger zu ihnen nach Hause. Die promovierte Zahnärztin bringt Bohrer, Absauger und Zahnsteinentfernungsgerät mit, eine Assistentin ist immer dabei. Finger ist die erste Medizinerin in Deutschland, die einen zahnärztlichen Hausbesuchsdienst anbietet.
Jeden Dienstagvormittag bricht sie mit ihrer rollenden Praxis in bis zu 30 Kilometer von Templin entfernte Dörfer der Uckermark auf. Vor allem alte, gebrechliche, demente Patienten und auch Unfallopfer besucht sie.
Außerhalb ihrer Praxis zu behandeln, bereitet ihr keine Probleme: Sofa, Bett oder Rolli statt Praxisstuhl – Kerstin Finger arbeitet „in jeder Lage“, wie sie sagt.
Die 51-Jährige ist eine Pionierin im besten Sinn, die lange für ihre Idee werben und kämpfen musste. Vor 26 Jahren ließ sie sich in Templin nieder. Im Laufe der Jahre bemerkte sie, dass viele Patienten den oft langen Weg zu ihr in die Kleinstadt nicht mehr schaffen. „Wer auf dem Dorf immobil wird, ist praktisch von fast allem ausgeschlossen.“ Außerdem, sagt sie, seien im Laufe der Jahre Zahn-Konstruktionen immer komplizierter und damit auch anfälliger geworden. So begann Kerstin Finger, mobile Zahnarztausrüstungen unter die Lupe zu nehmen – bei der Bundeswehr und für Entwicklungshilfeprojekte in Südamerika. Schließlich ließ sie sich von einer kleinen Firma im bayrischen Fürstenfeldbruck einen wassergekühlten Schnelllaufbohrer im Rollkoffer bauen, an den man jede Seltersflasche als Wasserreservoir anschrauben kann. Die gut zehn Kilo schwere, mobile Apparatur, ein geschlossenes System samt Amalgam-Entsorgung, kann an jede Steckdose angeschlossen werden.
Die bürokratischen Hürden waren schwer zu überwinden: Bis Geld aus Töpfen des Landes und der EU zur Entwicklung des ländlichen Raums bewilligt war, hätte die Ärztin längst mit ihrer mobilen Arbeit beginnen können. Frustriert hat sie das nicht: Sie ging einfach in Vorleistung – mit ihrem Geld und ihrem Engagement. Rund 50 000 Euro hat sie in ihre mobile Praxis gesteckt.
Als sie sich dann in Altenheimen, Pflegeeinrichtungen in Gemeindevertretungen vorstellte, erntete sie erst einmal Misstrauen. Entweder befürchteten Entscheidungsgremien, sie würden kontrolliert oder sie glaubten, Kerstin Finger wolle ihnen etwas verkaufen und nicht nur helfen. Inzwischen ist die Ärztin von Zehdenick bis Hohenwalde bekannt und gern gesehen. Viele Patienten, sagt sie, wollten sie gar nicht mehr gehen lassen. Manchmal wird sie eingeladen – zu Rehkeule oder Zanderfilet. Andere beschenken sie mit selbst gehäkelten Decken.
Eigentlich würde die Ärztin gern öfter unterwegs sein – die Anfragen im größten deutschen Landkreis stapeln sich. Doch mehr Touren sind ihr nicht erlaubt. „Immer nur dienstags“, sagt sie den Patienten. Denn die Kassen, für die die Abrechnung der mobilen Dienste ohnehin eine besondere Herausforderung zu sein scheint, schreiben ihr eine Art Residenzpflicht in ihrer Praxis vor, die sie auch Dienstag nach 13 Uhr wieder öffnen muss.
Dennoch entschädigt sie der eine Vormittag pro Woche, an dem sie über die Dörfer fährt, auch für die Auseinandersetzungen mit der Bürokratie. „Da bekomme ich so viel von den Patienten zurück, das kann man sich gar nicht vorstellen.“ Mehr noch, sagt Kerstin Finger: „Es ist schon ein sehr schönes Gefühl, dass man Probleme letztlich auch lösen kann.“