Erfahrungsbericht Peru : Prosoya bei Oxapampa

#1 von carlos , 03.06.2011 23:02

Am 15. April dieses Jahres machte ich mich auf den Weg nach Peru, um in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz von Bad Segeberg dort drei Monate lang als freiwilliger Zahnarzt zu arbeiten.
Nach ungefähr acht Monaten Vorbereitungszeit fand ich mich dann mit 80 kg gesammeltem Spendenmaterial im Flugzeug nach Südamerika wieder, um eine besondere Zeit in einer für mich völlig anderen Welt zu erleben.
Das Rote Kreuz in Bad Segeberg unterstützt eigentlich das Projekt „MKG-Ärzte Peru“, bei dem in verschiedenen Regionen des Landes Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumen Spalten regelmäßig von einem deutschen Team operiert werden, um ihnen ein „normales“ Leben wiederzugeben.
Im Rahmen dieser langjährigen Arbeit entstanden viele Kontakte, die Herr Werner Weiß, der Projektkoordinator vom Roten Kreuz, dafür nutzt, um interessierte, freiwillige Zahnmedizinstudenten und Zahnärzte dort hin zu schicken, welche sich vor Ort um die Mundhygiene der Menschen bemühen.
So wurde für meine Arbeitszeit auch ein Programm entworfen, das den Menschen an verschiedenen Orten zu Gute kommen sollte.

Mein Job begann im deutsch-peruanischen Projekt „Prosoya“ bei Oxapampa, einer ziemlich kleinen, im Bergurwald gelegenen Stadt im Zentrum des Landes.
Nur einen Tag nach meiner Ankunft in Lima schickte mich der peruanische Projektleiter Hugo Fernandez per Bus dort hin. Ich erlebte eine atemberaubende Fahrt über die Andenberge, bei der ich auch die höchste Eisenbahnlinie der Erde bewundern konnte (höchster Punkt 4781m), weil sich unsere Wege mehrere Male kreuzten.
Diese Geographie des Landes! Aufgeteilt in einen Küstenstreifen aus einer der trockensten Wüsten der Erde, ein plötzlicher Übergang in das Andenhochland mit Bergen über 6000 m, schließlich dann der Urwald, teilweise noch unerschlossen.

Eine Fahrt, die mit kahlen Bergen begann, zwischen denen der Bus sich seinen Weg suchte. Am Ende waren es Berge, grün bewachsen mit den verschiedensten Pflanzen und Bäumen bis zur Spitze. Wasserbäche liefen über die schmale Fahrbahn, um sich dann tief in das Tal zu stürzen. Die Natur prahlte hier mit viel intensiveren Farben, als ich es von Deutschland gewohnt war.

Prosoya bei Oxapampa
Zwischen Oxapampa und dem Projekt sind es nur 27 km, aber diese Strecke beeindruckte mich in meiner Zeit dort immer wieder. Meist nur mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20-30km/h waren die Taxi-Chauffeure ständig damit beschäftigt, den tiefen großen Löchern auf der Piste auszuweichen. Auf meiner ersten Fahrt nach Prosoya glaubte ich meinen Augen erst einmal nicht, als der Fahrer plötzlich anhielt, um zu tanken. Weit und breit keine Zapfsäule 
Ein Taxi fuhr erst ab, wenn sich mindestens 12 Passagiere in den einfachen Kombi hinein gequetscht hatten. Es war eigentlich unmöglich, sich zu einer bestimmten Uhrzeit zu verabreden, da man ja nie wissen konnte, ob der Wagen in einer halben Stunde oder auch erst in über einer Stunde sich füllen würde.

Prosoya ist ein im Jahre 1989 gegründetes deutsch-peruanisches Projekt, das zur Zeit 36 Schüler beherbergt. Diese sind zum größten Teil Waisen aus allen Teilen Perus oder Kinder sehr armer Familien mit besonders tragischen Schicksälern. Per Auswahlgespräch werden jedes Jahr immer wieder neue Kinder aufgenommen. Hier bekommen sie ein Dach über den Kopf und die Möglichkeit, neben Schule noch eine praktische Ausbildung in Landwirtschaft, Schlosserei, Imkerei, Schreinerei oder Bäckerei zu erlernen.

Diese Schüler, ihre Betreuer, das restliche Projektpersonal und auch die Menschen aus dem nahe gelegenen Dorf Huancabamba sollten in dieser Zeit meine Patienten sein.
Die „Praxis“ auf dem Hof des Projektes war nicht schlecht. Die dentale Einheit war nach einigem Wartungsaufwand funktionsfähig, die Schränke waren gut mit Instrumentarium und anderem Material bestückt. Es gab sogar ein „Steri“ mit Zeitschaltuhr.
Ich begann meine Arbeit mit einfacher, aber mühsamer Zahnsteinentfernung und MHA, bis ich endlich vom ZA-Kollegen im Krankenhaus in Oxapampa eine Turbine bekam. Als Dankeschön erhielt das Krankenhaus Medikamente und anderes. Überhaupt funktionierte die Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus sehr gut. Die aufwendigeren Fälle aus dem Projekt, wie z.B. Weißheitszahnentfernung, nahm ich mit ins Krankenhaus, wo ich mit dem Zahnarzt zusammenarbeitete.

Die Turbine, die ich bekommen hatte, lief leider ohne Wasser, so musste meine „Helferin“ immer wieder die Kühlung mit einem Puster übernehmen, und der Patient spuckte regelmäßig das Wasser aus, da der Absauger nicht funktionierte. Dennoch hielt ich diese Einheit am Ende meines Peruaufenthaltes, nachdem ich noch an verschiedenen Orten gearbeitet hatte, für den Mercedes unter allen, mit denen ich arbeiten durfte.
Neben den Behandlungen – die Patienten standen Schlange vor dem Praxishäuschen – bereitete ich 5 Folien vor, um vor den Schülern und dem Mutterclub Vorträge über Dental Hygiene zu halten. Das Wissen darüber war zum größten Teil gar nicht vorhanden. Die erste Erfahrung mit Plaquefärbemitteln war für alle eine lustige Angelegenheit.
Es vergingen anstrengende 2 Arbeitswochen, in denen ich von morgens bis abends Patienten versorgte. Dann fuhr ich nach

Puerto Bermudez
Dies war nun richtiger Urwald. Nach einer über 10 Stunden dauernden aufregenden Fahrt in einem mal wieder überfüllten Minibus kam ich in diesem kleinen Ort an. Auf der Fahrt dachte ich immer wieder nur: wie komme ich hier raus, wenn mir mal was passieren sollte? Denn der Weg war so beschwerlich, dass wir immer wieder im Schlamm stecken blieben. Anstelle von 10 Stunden konnte es manchmal auch einen Tag dauern, bis man ankam. Unheimlich, unbekannt, aber spannend und dennoch schön. Natur pur!

In Puerto Bermudez arbeitete ich zunächst mit dem ZA-Kollegen Danielle zusammen. Sowohl im Krankenhaus als auch im „Außendienst“ arbeiteten wir zusammen und tauschten unser Wissen aus. Die Arbeit im „Außendienst“ war eine neue Erfahrung: wenn das „Hospital“ Geld hatte für Sprit, fuhren wir hinaus in die weiter entfernten Dörfer der Ashaninka Indianer, was wir einen Tag vorher im Radio ankündigten. Dort trafen wir dann auf eine große Ansammlung von Leuten, die behandelt werden wollte. Wir untersuchten jeden und extrahierten unter ganz einfachen Umständen, wo es nötig war, und empfehlten denen, die konservativ behandelt werden konnten, nach Puerto Bermudez ins Krankenhaus zu kommen. Aber den meisten fehlte das Geld für diese Strecke. Dabei war die Behandlung für sie gratis.

FKI – Freundeskreis Indianerhilfe Göttingen
Meine eindrucksvollste Zeit in Peru erlebte ich aber, als ich in Puerto Bermudez die Gelegenheit bekam, Dr. Eibach und die Altenpflegerin Gabriele Tübel vom FKI kennen zu lernen und sie bei ihrer Arbeit zu begleiten.
Der FKI setzt sich schon seit über 25 Jahren für die Gesundheit, die Ausbildung und den Erhalt der Kultur der Ashaninka-Indianer ein.
Dr. Eibach hatte den FKI mitgegründet und ich bewunderte seinen großen Erfahrungsschatz und die Art und Weise, wie er mit den Menschen umging und sich für sie einsetzte.
Zwei Mal 5 Tage waren wir mit dem Boot, der einzigen Möglichkeit, weiter in den Urwald einzudringen, unterwegs, um die „Communidades“ (Dörfer) der Ashaninka zu besuchen.
In jedem Ort gab es eine Versammlung, anschließend behandelten wir. Es gab viel zu tun und die Bedingungen waren nicht einfach. Ich hatte nichts anderes als LA, Hebel, Zange, Watte und Alkohol zum Desinfizieren.
„Hilfe zur Selbsthilfe“ ist das Anliegen des FKI. Regelmäßig im Jahr kommt ein Arzt des Projektes, den die Menschen schon kennen, dort hin, um Auserwählte des Dorfes in einfacher Medizin zu unterrichten, damit sie die am häufigsten vorkommenden Krankheiten erkennen und Hilfe leisten können, indem sie entweder Medikamente verabreichen oder die schwerkranken nach Puerto Bermudez ins Hospital bringen. Eine für uns sehr unkonventionelle Art, aber sie hat sicherlich schon einigen Menschen das Leben gerettet. Dennoch ist die Verantwortung dieser Auserwählten „Promotoren de Salud“ sicherlich groß.
Dr. Eibach war immer bemüht, diese Promotoren in seine Untersuchungen mit ein zu beziehen. Selbst für mich war es sehr interessant.
Wir badeten im Fluss und nachher freuten wir uns auf unseren „Nescafé“, mit Flusswasser zubereitet. Es war alles wie in einer anderen Zeit.
Trotz der für meine Behandlungen unangenehmen Umstände ging alles gut. Nach 1 Monat war es war Zeit für mich nach Oxapampa zurückzukehren, wo ich noch 2 Wochen arbeitete und auch einen Abstecher nach

Pozuzo
machte. Herr Weiß hatte mich darum gebeten, nach Pozuzo zu gehen, einer ehemalst deutsch-österreichischen Siedlung, die um die Jahre 1857 gegründet wurde und wegen vieler und langer Kriege für 100 Jahre in Vergessenheit geraten war. Bis 1975 führte kein ein offizieller Weg dort hin.
Ich sollte dort mit dem Krankenhaus die ersten Gespräche über die Möglichkeit einer zukünftigen Zusammenarbeit sprechen, und war ziemlich verwundert, als ich bemerkte, wie sehr mich die Landschaft an das Tiroler Land erinnerte. Großgewachsene, blonde und blauäugige Menschen, und die meisten sprachen deutsch mit österreichischem Dialekt!

SOS Kinderdorf Westfalia – Lima
Mein letzter Auftrag war der Besuch des SOS Kinderdorfes bei Lima. Die deutsche Leiterin freute sich, als ich sie im Namen des Roten Kreuzes ansprach, um mit ihr über eine Einrichtung einer zahnmedizinischen Station für die Versorgung der über 100 Kinder im Projekt zu sprechen.

So beeindruckend wie die Zeit während meiner Arbeit war es auch auf meiner anschließenden Reise im Süden des Landes in das Herz des ehemaligen Inkareiches Cusco mit der gut erhaltenen Tempelanlage Machu Picchu und zum Titicaca See. Dieser liegt in einer Höhe von ungefähr 400m und gehört somit zu den größten und am höchsten gelegenen beschiffbaren Seen der Erde.

Insgesamt muss ich sagen, war mein Peru Aufenthalt eine Zeit unheimlich vieler Eindrücke, die mich lange noch nach meiner Rückkehr beschäftigten und mir den Einstieg in das sonst so gewohnte Leben nicht einfach machten. Der Abschied fiel mir nicht leicht.
Wer Interesse haben sollte, an diesem Projekt teilzunehmen oder dieses Projekt zu unterstützen, der kann sich gerne an Herrn Werner Weiß wenden, der wohl als Universalansprechpartner für alle im Bericht erwähnten Projekte angesehen werden kann: www.mkg-aerzte-peru.de
Ich möchte mich bei den Unternehmen bedanken, die mich bei meinem Vorhaben mit Sachspenden unterstützt haben.

carlos  
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Zahnprojekt an einer peruanischen Schule
Arzt Zahnarzt und Priester

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