Tanja Satzinger, Hendrik Meyer-Lückel
Seit 1986 ist die Hilfsorganisation Portland Dental Care, eine Initiative von
deutschen Zahnärzten, in ländlichen Regionen der Karibikinsel Jamaika
aktiv. Ziel des privaten Entwicklungshilfeprojektes ist es, Menschen in der
Dritten Welt unmittelbar und ohne aufgeblähten Verwaltungsapparat zu
helfen. Erstmals wurde 1999 eine Studie zur Zahngesundheit von Schulkindern
in einem bislang zahnärztlich unterversorgten ländlichen Bezirk im Bundesland
St. Elizabeth, im Süden Jamaikas, durchgeführt
Deutsche Zahnärzte leisten private
Entwicklungshilfe in einem Land,
das den meisten Mitteleuropäern
als karibisches Urlaubsparadies bekannt
ist. Für die meisten der 2,5
Millionen Einwohner zählen jedoch
Armut und fehlende soziale Sicherheit
zur bitteren Realität. Ein Mangel
an Ärzten, Zahnärzten, Instrumentarium
und Medikamenten sowie
eine oftmals unzureichende
Wasser- und Stromversorgung stellen
eine große Herausforderung an das
staatliche Gesundheitssystem dar. Da es an
den jamaikanischen Hochschulen keine
zahnmedizinische Fakultät gibt, absolvieren
Jamaikaner das Zahnmedizinstudium in den
USA, in Trinidad oder Kuba. Die wenigen
jamaikanischen Zahnärzte, die aus dem
Ausland zurückkehren, lassen sich jedoch
zumeist in den finanziell attraktiveren
Ballungsgebieten nieder. Folgt man der
Statistik, so ist die zahnärztliche Unterversorgung
in ländlichen Gebieten mit 39 000
Einwohnern pro Zahnarzt besonders stark
ausgeprägt. Seit 1972 werden in Kingston
zahnmedizinische Fachhelferinnen, so genannte
Dental Nurses, ausgebildet, die in
Schulen und zahnmedizinischen Einrichtungen
der Gesundheitszentren tätig sind. Zu
ihrem Aufgabenbereich gehören neben der
Prophylaxe auch das Legen von Füllungen
an Milch- und bleibenden Zähnen sowie die
Extraktion von Milchzähnen. Während in
den öffentlichen Zahnkliniken fast ausschließlich
Extraktionen und Amalgamfüllungen
durchgeführt werden, ist das Behandlungsspektrum
der privat tätigen
Zahnärzte sehr umfassend, aber aufgrund
hoher Honorare für die Mehrheit der Bevölkerung
unerschwinglich.
Zahnmedizinische
Versorgung auf der Insel
Bereits seit 1986 helfen deutsche Zahnärzte,
die von der Gießener Hilfsorganisation
Portland Dental Care nach
Jamaika geschickt werden,
unentgeltlich, um notleidenden
Menschen die
nötigste zahnmedizinische
Versorgung zu geben. Zu
Beginn war die Hilfsorganisation
im Nordosten Jamaikas
tätig und versorgte in
der Hauptpraxis in Port
Antonio und in fünf Außenstationen im unwegsamen
Bergland rund 80000 Menschen.
Da dort die zahnmedizinische Versorgung
nun durch zwei jamaikanische
Zahnärzte sicher gestellt wird, konnte sich
Portland Dental Care aus diesem Gebiet
zurückziehen.
Seit Mitte 1997 werden von Portland Dental
Care Zahnmediziner und die benötigten
Instrumente und Materialien nach Junction,
ein rund 24 000 Einwohner zählender Bezirk
im Süden der Insel, geschickt, um die zahnmedizinische
Basisversorgung zu gewährleisten.
In der Zahnklinik im Gesundheitszentrum
in Junction stehen zwei Zahnarztstühle
und zahnmedizinisches Hilfspersonal,
aber kein jamaikanischer Zahnarzt zur Verfügung
(Abbildung 1).
Meistens kommen die Patienten mit der genauen
Vorstellung einer Extraktion des
schmerzenden Zahnes zu ihrem Behandler.
Nur selten lassen sie sich davon überzeugen,
dass man den Zahn mit einer Füllung erhalten
kann. Die Behandlung der Patienten erfordert
viel Improvisationsgeist, weil häufig
das erforderliche Instrumentarium fehlt, die
Absaugung defekt ist oder das Winkelstück
wieder einmal den Geist aufgegeben hat.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die zahnmedizinische
Betreuung der Schulen in St. Elizabeth.
Dort werden Reihenuntersuchungen
und Aufklärungen über die Mundgesundheit
vorgenommen, um das Zahnbewusstsein
in frühester Jugend zu wecken.
Salzfluoridierung seit 1987
In vielen schnell industrialisierenden Entwicklungsländern
konnte in den 60er Jahren
ein starker Anstieg des Kariesvorkommens
beobachtet werden. Veränderungen der
Ernährungsgewohnheiten durch einen
größeren Anteil kariogener Lebensmittel,
die mangelnde zahnmedizinische Versorgung,
und fehlende Präventionsmaßnahmen
spiegelten sich in den beobachteten
hohen DMF-T-Werten (DMF-T = 6,7 bei
Zwölfjährigen) der 1984 in Jamaika durchgeführten
WHO-Studie wieder. 1987 führte
Jamaika zur Verbesserung der hohen Kariesprävalenz
die Salzfluoridierung ein.
Zahngesundheit bei
Kindern und Jugendlichen
Im Sommer 1999, zwölf Jahre nach Einführung
der systemischen Fluoridierung,
wurde eine Querschnittsstudie zur Erhebung
der Kariesprävalenz an insgesamt
1709 Schulkinder im Alter von
vier bis 16 Jahren im Bezirk
Junction durchgeführt. Im Vergleich
zu 1984 konnte eine Kariesreduktion
von 67,6 Prozent
bei zwölfjährigen und 60,4
Prozent bei 15-jährigen Schulkindern
beobachtet werden. Mit einem
durchschnittlichen DMF-T-Wert von 2,17
für Zwölfjährige wurden die von der WHO
für das Jahr 2000 vorgegebenen
globalen Ziele zur Zahngesundheit
bereits 1999 erreicht.
Dennoch ist das Kariesvorkommen
immer noch ein wenig
höher als in anderen karibischen
Ländern und der Bundesrepublik
Deutschland. (Abbildung
2).
Die zahnärztliche Versorgung in Junction ist
jedoch immer noch unzureichend, was sich
in dem geringen Sanierungsgrad beziehungsweise
dem hohen Anteil unversorgter
kariöser Läsionen widerspiegelt. Anhand
der relativ hohen Zahl fehlender Zähne lässt
sich erkennen, dass die Schmerzbehandlung
in Form von Extraktionen immer noch
eine häufige Alternative zur Wurzelkanalbehandlung
oder Füllungstherapie darstellt
(Abbildung 3). Die beobachteten Läsionen
an insgesamt 1154 kariösen Sechsjahr-Molaren
waren überwiegend in den Fissuren
und Grübchen (88 Prozent) lokalisiert (Abbildung
4). Diese Ergebnisse verdeutlichen,
dass es zur Verbesserung der zahnärztlichen
Versorgung einer weiteren Verstärkung des
zahnmedizinischen Personals bedarf. Insbesondere
Fissurenversiegelungen sowie die
individuelle zahnmedizinische Betreuung
von Kindern mit hohem Kariesrisiko könnten
eine weitere Kariesreduktion ermöglichen.
Die zum Teil sehr gut ausgebildeten
Dental Nurses wären kompetent, diese
Maßnahmen durchzuführen. Darüber hinaus
ist eine Bewusstseinsveränderung der
Bevölkerung in Richtung einer mehr präventiv
ausgerichteten Zahnmedizin dringend
erforderlich (Abbildung 5).
Seit Anfang 2000 hat Portland Dental Care
auch die zahnärztliche Versorgung der Provinz
Hanover mit ihrem Zentrum Lucea im
Westen der Insel übernommen, wo bisher
zirka 40 000 Einwohner ohne Zahnarzt auskommen
mussten. Das Jahresbudget des
Vereins ist verglichen mit anderen Hilfsorganisationen
sehr gering. Alle Mitglieder
des Vereins arbeiten ehrenamtlich und teilen
sich die verschiedenen Aufgabenbereiche.
Zur Fortführung des Projektes werden
aber auch weiterhin unterstützende Mitglieder
und Zahnmediziner, die sich für einen
beruflichen Einsatz auf Jamaika zur Verfügung
stellen, benötigt. Gerade für junge
Kolleginnen und Kollegen kann der Aufenthalt
in Jamaika sowohl eine berufliche als
auch persönliche Herausforderung und bereichernde
Erfahrung sein.
Interessierte Kolleginnen und Kollegen sollten
jedoch mindestens ein Jahr Berufserfahrung
in Deutschland gesammelt haben und
bereit sein dem deutschen Alltag für
wenigstens zehn Wochen zu entfliehen.
Dr. Tanja Satzinger
Großbeerenstr. 82 A
10963 Berlin
Dr. Hendrik Meyer-Lückel
Oberarzt der AbteilungPoliklinik für Zahnerhaltungskunde
und Parodontologie
Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und
Kieferheilkunde
Freie Universität Berlin
Aßmannshauser Str. 4-6
14197 Berlin
meylue@zedat.fu-berlin.de
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zm 92, Nr. 4, 16. 2. 2002, (415)