Die Journalistin und Autorin Susanne Kaiser beschäftigt sich mit dem «feministischen Paradox»: Je stärker Frauen werden, desto grösser wird der Hass gegen sie. Warum ist das so, und was muss passieren, damit sich das ändert?
Die Journalistin und Autorin Susanne Kaiser beschäftigt sich mit dem «feministischen Paradox»: Je stärker Frauen werden, desto grösser wird der Hass gegen sie. Warum ist das so, und was muss passieren, damit sich das ändert?
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Interessanter Beitrag!
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in der Tat Paradox!
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annabelle: Die Gewalt gegen Frauen nimmt weltweit zu, schreiben Sie in Ihrem Buch «Backlash». Allein in der Schweiz haben mehr als 40 Prozent der Frauen Gewalt in der Partnerschaft erlebt, rund alle zwei Wochen stirbt eine Frau an den Folgen häuslicher Gewalt. Statistiken zeigen, dass diese Form der Gewalt seit Jahren kontinuierlich zunimmt. Wie weit haben Sie ausserhalb der Zahlen und Statistiken recherchiert?
Susanne Kaiser: Ich habe mir sehr genau das Dunkelfeld angeschaut, das nicht in den Statistiken auftaucht. Ich habe in Frauenhäusern mit betroffenen Frauen gesprochen, mit Beratungs-Hotlines Kontakt aufgenommen, Psycholog:innen und Anwält:innen interviewt, die mit häuslicher Gewalt zu tun haben. Sie alle bestätigen die Zunahme, auch was die sexualisierte Gewalt zu Hause angeht.
Warum wird nicht mehr darüber gesprochen, sind wir nicht alarmierter?
Es wird schon darüber gesprochen, aber auf eine Art und Weise, als sei das eine Naturkatastrophe: tragisch, aber nicht wirklich zu ändern. Dass die Gewalt von Männern ausgeht, wird oft nicht deutlich gesagt. In der Berichterstattung ist dann von einer «Familientragödie» die Rede, es überwiegen Passivkonstruktionen wie «Frau mit Messer umgebracht» oder «Frau vom Balkon geschubst». Dass der Täter ein Mann ist, wird erst mal ausgespart. Man sollte viel mehr darüber reden, warum Männer das tun und warum wir eine Zunahme der Gewalt beobachten können.
Was ist Ihre Antwort?
Frauen sind heute deutlich emanzipierter und in der Politik sichtbarer als früher. Viele Männer fürchten um ihre Macht, ihre Privilegien, auch zu Hause in der Familie. Sie sind verunsichert, in ihrer Männlichkeit gekränkt und erleben einen Kontrollverlust. Manche werden dann aggressiv oder sogar gewalttätig. Auch die MeToo-Bewegung hat viele Männer provoziert und Aggressionen geschürt.
Feministischer Fortschritt und männliche Gewalt gehen also Hand in Hand?
Genau, ich nenne das auch «feministisches Paradox». Je selbstbewusster und sichtbarer Frauen werden, desto eher werden sie zum Ziel von Gewalt.
Was genau meinen Sie mit dem «Backlash», den Sie in Ihrem Buch beschreiben?
Damit meine ich, dass reaktionäre Männer versuchen, die mühsam erkämpfte Gleichberechtigung der Frauen mit Gewalt rückgängig zu machen, ihre Rechte zu beschneiden. Das hat auch mit dem Erstarken rechter Ideologien zu tun. In den USA hat der Oberste Gerichtshof das Recht auf Abtreibung stark eingeschränkt. Auf TikTok sieht man häufiger junge Männer, die ihre Tötungsfantasien an Frauen öffentlich machen und dafür viele Likes bekommen. Aber eben auch im häuslichen Umfeld werden Männer zunehmend gewalttätig.
Sind Frauen aus allen Schichten gleichermassen betroffen?
Prinzipiell kann es jede Frau treffen. Besonders häufig sind zwei Gruppen: Geringverdienerinnen, die meist nicht die finanziellen Ressourcen haben, sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu befreien. Sie sind abhängiger, könnten sich zum Beispiel keine eigene Wohnung leisten. Und Akademikerinnen, die beruflich erfolgreich sind, unter Umständen sogar mehr Geld verdienen als ihre Partner.
Werden auch Männer mit einem hohen Bildungsniveau häufig handgreiflich?
Leider ja. Selbst manche Männer, die sich als feministisch bezeichnen und Kolleginnen in ihrem Arbeitskontext fördern, unterdrücken zu Hause ihre Frauen, machen sie klein, werden handgreiflich. Die Grenzen von psychischer zu körperlicher Gewalt sind oft fliessend. Der Lockdown, als während der Corona-Pandemie viele Menschen zu Hause geblieben sind, hat das Problem noch einmal verschärft.
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«Der Hass bleibt nicht bei bestimmten frauenfeindlichen Gruppierungen wie etwa den Incels stehen»
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Susanne Kaiser, geboren 1980, ist Autorin und Journalistin. Ihr Buch «Backlash. Die neue Gewalt gegen Frauen» (224 Seiten, ca. 35 Fr.) ist im Tropen Verlag erschienen.
Du bist Opfer häuslicher Gewalt oder hast Angst, dass es bald soweit kommen könnte? Hier findest du Hilfe.
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«Der Hass bleibt nicht bei bestimmten frauenfeindlichen Gruppierungen wie etwa den Incels stehen»
Sprechen Frauen, die häusliche Gewalt erleben, mehrheitlich mit anderen Menschen darüber, mit Freundinnen, jemandem aus der Familie? Oder ist das Thema nach Ihren Recherchen tabu?
Meist sprechen sie nicht darüber. Zur häuslichen Gewalt gehört auch, dass Männer ihre Partnerinnen aus ihrem sozialen Umfeld isolieren. Die Freundinnen werden schlecht gemacht, die Frau darf das Haus oft nicht mehr verlassen.
Es gibt den Mythos, dass Frauen selbst schuld daran seien, wenn sie Opfer von sexualisierter Gewalt werden – zum Beispiel, weil sie sich angeblich aufreizend anziehen.
Stimmt, wir haben es hier mit einer Täter-Opfer-Umkehr zu tun: Viele Männern meinen, ihre Partnerin habe sie provoziert. Oft fühlen sich die Frauen tatsächlich schuldig. Immerhin sind einige durch die MeToo-Bewegung ermutigt worden, mit dem, was ihnen passiert ist, in die Öffentlichkeit zu gehen, ihre Männer anzuzeigen. Sie haben gesehen, dass sie nicht allein sind.
Im Internet hat die Gewalt gegen Frauen ebenfalls zugenommen. Wird der Hass nur innerhalb bestimmter Gruppen verbreitet, oder sickert davon auch etwas in die breite Öffentlichkeit durch?
Der Hass bleibt nicht bei bestimmten frauenfeindlichen Gruppierungen wie etwa den Incels stehen, die keine sexuelle Beziehung haben und den emanzipierten Frauen dafür die Schuld geben. Es gibt häufig Hass-Kampagnen im Netz, etwa gegen Politikerinnen oder Sportmoderatorinnen, bei denen dann immer mehr Männer aufspringen.
Was muss passieren, damit die Gewalt gegen Frauen weniger wird?
Es muss sich auf verschiedenen Ebenen mehr tun. Hate Speech im Internet muss stärker sanktioniert werden, das Netz ist kein rechtsfreier Raum. Polizist:innen und Familienrichter:innen müssen mehr für das Thema sensibilisiert und fortgebildet werden. Frauenhäuser und die zuständigen staatlichen Stellen sollten finanziell besser unterstützt werden. Wichtig finde ich auch, dass es mehr Hilfsangebote für Männer gibt, die aus ihrer Gewaltbereitschaft herauskommen wollen.
«Das Ziel sollte sein, dass wir irgendwann das alte binäre System von Mann und Frau überwinden»
Was muss passieren, damit Männer anders sozialisiert werden?
Das muss schon in den Kitas und Schulen anfangen. Erzieher:innen und Lehrer:innen müssen über klassische Rollenbilder sprechen und sie in Frage stellen. Gewalt ist bereits an Schulen oft geschlechtsspezifisch, Jungs sind gewaltbereiter als Mädchen. Deshalb müssen Kinder und Jugendliche präventiv für das Thema männliche Gewalt sensibilisiert werden.
Was können die Frauen tun?
Es ist wichtig, dass Frauen in der Öffentlichkeit sichtbar sind, dass sie – durch MeToo bestärkt – auf Gewalt und Diskriminierung, die sie erlebt haben, aufmerksam machen. Das alles gehört zu einer feministischen Identitätspolitik. Andererseits besteht die Gefahr, dass Frauen, die ihr Geschlecht betonen, anders wahrgenommen werden, als sie selbst es sich wünschen: nämlich als schutzbedürftig und von Natur aus schwach. Die guten, völlig legitimen Argumente einer feministischen Identitätspolitik können also nach hinten losgehen. Deshalb sollten Frauen sich gut überlegen, ob sie ihr Frausein immer wieder betonen …
… weil sie sonst womöglich die alten Rollenbilder und Hierarchien zementieren?
Genau. Das Ziel sollte letztlich sein, dass wir irgendwann das alte binäre System von Mann und Frau überwinden – zumindest, um von den herkömmlichen Rollenbildern loszukommen. Es gibt heute so viele unterschiedliche, queere Identitäten.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Haben Sie selbst die Erfahrung machen müssen, Opfer von männlicher Gewalt zu werden?
Ja, ich selbst habe auch schon männliche Gewalt erlebt – wie leider fast jede zweite Frau.
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Prävention häusliche Gewalt: «Buben müssen lernen, mit ihren Gefühlen umzugehen»
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