Man kann nur erahnen, wie sich die Diagnose "Spaltkind" für eine Mutter anfühlen muss. Maike Herrmann, Psychologiestudentin an der Universität Leipzig, hat im Rahmen eines fünfmonatigen Praktikums bei der Deutschen Cleft Kinderhilfe in Indien 107 Mütter von Spaltkindern interviewt.
"Was löst die Geburt eines Spaltkindes bei Ihnen aus? Was wissen Sie über diese Fehlbildung? Wird die Mutter-Kind-Beziehung dadurch beeinträchtigt?" - mit diesen Fragen konfrontierte Psychologiestudentin Maike Hermann insgesamt 107 Mütter von Spaltkinder in Indien. Die Ergebnisse fließen gerade in ihre Masterarbeit ein.
Die Interviews waren kompliziert, sagt Hermann. Die Studentin musste sich zunächst auf die völlig anderen Lebensumstände der Menschen einstellen. Viele der Familien, die sie besuchen wollte, verdingen sich als Tagelöhner und riskieren ihren Job, wenn sie einen Tag der Arbeit fernbleiben. Zudem sind sie auf ihr Tageseinkommen angewiesen. Deshalb kam es vor, dass die junge Deutsche manchmal nach fünf Stunden Busfahrt in ein abgelegenes Dorf im südindischen Bundesstaat Karnataka trotz Verabredung vor der verschlossenen Tür einer Hütte stand.
Hatte sie dann eine Interviewpartnerin gefunden, wollten die Väter häufig den Raum nicht verlassen und beantworteten anstelle der Frauen die Fragen - mit der Aussage, eine verheiratete Frau wäre doch per se der gleichen Ansicht wie ihr Ehemann. Wenn Hermann es dann schaffte, allein mit den Frauen zu reden, brauchte es eine Weile, bis die sich öffneten.
Auf dem Land liegt es an der Mutter
In ihren Gesprächen fand sie heraus, dass gerade in ländlichen Gebieten den Müttern meist die Schuld an der Fehlbildung ihres Kindes gegeben wird. Weit verbreitet ist dort der volkstümliche Glaube, dass schwangere Frauen während einer Sonnenfinsternis nichts schneiden dürfen, da sie sonst ein Kind mit einer Spalte gebären würden. Etwa die Hälfte der Mütter begründete dies so - nur ein Viertel wusste, dass zum Beispiel auch eine familiäre genetische Vorbelastung eine Rolle bei der Erkrankung spielt.
Die Befragungen haben zudem ergeben, dass die mütterliche Bindung eher stärker ausgeprägt ist, wenn das Kind eine Spaltfehlbildung hat, da die Mütter mehr Zeit in die Pflege ihres Kindes investieren. Im Vergleich zu Müttern von gesunden Babys berichten Mütter von Spaltkindern aber von mehr elterlichem Stress. Den stärksten Druck erleben sie in der Zeit vor der Operation ihres Kindes. Als eindeutige Stresspuffer wirken gute Beziehungen im sozialen Umfeld und ein liebevoller Umgang der Familienmitglieder mit dem Spaltkind.
Eine durch die Deutsche Cleft Kinderhilfe ermöglichte Operation bedeutet für die Mütter vor allem Erleichterung. Nicht nur das Füttern des Kindes und dessen Sprache verbessern sich durch die Behandlung. Kind und Mutter werden bei Familienmitgliedern und Nachbarn deutlich besser akzeptiert. Herrmann fand auch heraus, dass es für die Frauen eine völlig neue Erfahrung ist, ihre Kinder mit Stolz in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Die Deutsche Cleft Kinderhilfe (e.V.) wurde im Herbst 2002 gegründet und setzt sich weltweit für die umfassende Behandlung von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ein. 250 Euro kostet die Operation von einem Spaltkind im Landesdurchschnitt. Weitere Informationen finden Sie hier.