Berliner Zahnärztin Daniela Göhlich erlebte beim Hilfseinsatz in Haiti den Hurrikan Matthew. Sie berichtet über die Katastrophe

#1 von carlos , 17.10.2016 23:56

Eine riesige Welle hätten wir nicht überlebt"



Die Berliner Zahnärztin Daniela Göhlich wollte helfen, daher ist sie im September mit der Hilfsorganisation "dentists and friends" nach Haiti mitgeflogen, um zwei Wochen lang Menschen im Süden des Landes, in einem Dorf nordwestlich von Port Salut, von ihren Zahnschmerzen zu befreien. Die Morgenpost berichtete im Sommer über ihren Einsatz. Sie flog in eine Region, in der es überhaupt keinen Zahnarzt gibt.

Wer Schmerzen hat, muss sie ertragen oder zu einem sogenannten Zahnbrecher gehen. Eine Woche lang arbeitete die 43-Jährige mit ihrem Team von morgens bis in die Dunkelheit hinein. Doch dann kam Hurrikan Matthew, der in Haiti bislang mehr als 500 Todesopfer gefordert hat. Port Salut lag im Zentrum des Wirbelsturms, die Berlinerin hat die Katastrophe hautnah miterlebt. Inzwischen ist sie wieder zurück und erzählt:

"Erste Warnungen gab es schon Ende September. Aber niemand wusste etwas Genaues, Nachrichten gibt es dort kaum und die Menschen kennen ja Wirbelstürme, das ist erst einmal gar nicht so besonders. Sie haben mehr eingekauft und ihre Häuser, soweit es geht, gesichert, aber das war es. Mir war mulmig, ich habe versucht, Informationen aus den USA zu bekommen, aber der Internetzugang ist in Haiti nicht sehr stabil.
Stärke vier bedeutet eine Windgeschwindigkeit von 220 km/h

Was ich dennoch erfuhr, war beängstigend. Matthew war mit der Stärke vier angekündigt, stärker als vor vier Jahren bei Sandy, da war es 'nur' drei. Vier bedeutet eine Windgeschwindigkeit von 220 km/h. Das fegt alles weg. Der Kern des Hurrikan war auf den US-Vorschauen dunkellila eingefärbt und der Süden Haitis lag genau in diesem Feld. Für Sonntag, 2. Oktober, war Matthew angekündigt.

Schon Tage zuvor wurde der Wind immer stärker, Wolken brauten sich am Himmel zusammen. Auf dem Meer bildeten sich meterhohe Wellen. Für Montag und Dienstag wurde die Schule, in der unser Behandlungsraum war, vorsorglich geschlossen, wir konnten nicht mehr arbeiten. Aber der Hurrikan kam nicht, auch wenn der Wind weiter zunahm und es nur noch regnete. Dieses Warten, diese Ungewissheit waren unerträglich.

Um zwei Uhr in der Nacht zu Dienstag gab es plötzlich einen furchtbaren Lärm, die Fensterscheiben zerbrachen, ich hatte einen wahnsinnigen Druck auf den Ohren, wie im Flugzeug, wenn es plötzlich an Höhe verliert. Matthew war da. Dann schrie auch schon die Frau, bei der wir wohnten, von unten, wir sollten sofort runterkommen. Wir saßen alle zusammen in der Küche, die hatte kein Fenster und keine Tür nach draußen.
Häuser waren zusammengebrochen oder vom Meer verschluckt

Um uns toste es, aber wir konnten nicht nach draußen schauen, es war total unheimlich. Gegen Morgen schauten wir doch raus: Es war ein Bild der Verwüstung. Häuser, die nicht wie unseres aus Beton waren, waren zusammengebrochen oder vom Meer verschluckt, riesige Palmen waren umgekippt. Und das Meer war ganz dicht, riesige Wellen schlugen hinter der Straße hoch. Vor dem Wasser hatte ich am meisten Angst, denn eine riesige Welle hätte auch unser Haus einfach mitreißen können. Das hätte niemand von uns überlebt.

Gegen Morgen kamen immer mehr Menschen zu uns, die kein Dach mehr über dem Kopf hatten, vor allem Kinder wurden hereingereicht. 15 oder noch mehr Menschen saßen in der kleinen Küche. Wir hörten auch von den ersten Toten in der direkten Nachbarschaft. Erst nach 24 Stunden ließ der Sturm nach. Stundenlang haben wir dann das Wasser aus dem Haus geschippt. Es war ja eines der wenigen Häuser, die noch standen, wir mussten es irgendwie trocken halten. Ich musste meiner Familie Bescheid geben, aber wie?

Internet und Telefonnetz gab es längst nicht mehr, und die Straße war voller Schutt und Bäume. Ich dachte: Hier komme ich nie weg. Irgendwer sagte dann, beim Krankenhaus, fünf Kilometer entfernt, würde das Mobilfunknetz noch funktionieren. Wir sind zu Fuß dahin. Vorbei an den Verwüstungen, vorbei an verzweifelten Menschen, die versuchten, noch irgendetwas in ihren zerstörten Häusern zu retten. Ich konnte dann wenigstens meinem Mann und meinen Kindern eine SMS schreiben, 30 Stunden lang waren sie im Ungewissen, ob ich überhaupt noch lebe. Danach sind wir noch in die Schule gegangen. Das Dach über unserem Behandlungsraum war weggerissen, alle Materialien durchnässt und nicht mehr zu gebrauchen, zum Glück war aber der Bohrer noch unversehrt. Arbeiten konnten wir aber nicht mehr.
Brücken waren weggerissen, Straßen unterbrochen

Am Donnerstag kamen zwei Frauen mit einem Bulldozer und räumten die Straße einigermaßen frei. Trotzdem wussten wir erst nicht, wie wir wegkommen könnten, denn überall waren Brücken weggerissen, die Straße unterbrochen, teilweise ging es nur zu Fuß weiter, aber das ging ja nicht mit unseren Geräten. Es hieß, im 30 Kilometer entfernten Les Cayes würden noch Busse Richtung Port-au-Prince fahren. Aber wie sollten wir dahinkommen?

Irgendwer hat dann einen Pick-up organisiert. Die Fahrt war ein Abenteuer. Für die 250 Kilometer nach Port-au-Prince brauchten wir statt vier mehr als zehn Stunden. In Les Cayes haben wir tatsächlich einen Bus bekommen. Aber unsere Fahrt war schon bald unterbrochen, wieder war eine Brücke weggerissen. Es ging nur mit Mopeds weiter, doch die Leute, die uns ans andere Ufer bringen wollten, verlangten immer mehr Geld. Es kam zu Rangeleien, irgendwer riss auch an mir herum, furchtbar. Am Montag ging es dann endlich nach Hause."

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RE: Berliner Zahnärztin Daniela Göhlich erlebte beim Hilfseinsatz in Haiti den Hurrikan Matthew. Sie berichtet über die Katastrophe

#2 von carlos , 17.10.2016 23:57

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