Füllungen wie am Fließband

#1 von carlos , 13.09.2015 12:53

Heike Büchner hat in Borgfeld eine Zahnarztpraxis. Die war vom 6. bis 27. August geschlossen. Gearbeitet hat die Medizinerin in der Zeit trotzdem. Weit entfernt von ihrem Wohnort und – so kann man es nennen – wie am Fließband. Die 53-Jährige war während ihrer Praxisurlaubszeit für die Stiftung Zahnärzte ohne Grenzen in der Mongolei. Der Bedarf an zahnärztlicher Behandlung, so ihre Erfahrung, sei sehr groß in dem Land, das zwischen Russland und China liegt und fünf Mal so groß ist wie Deutschland.
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„Machen wollte ich es schon immer gern“, sagt Heike Büchner. Deshalb zögert sie auch nicht, als sie an einem Sonntagnachmittag im Februar in einer Fachzeitung den Aufruf der Stiftung Zahnärzte ohne Grenzen liest: Dringend Zahnärzte für einen Großeinsatz in der Mongolei gesucht. Noch am Abend mailt die Borgfelderin der Stiftung, dass sie dabei gern helfen würde. Am nächsten Tag fragt sie ihre Mitarbeiterin, ob die sich vorstellen könne, an dem ungewöhnlichen Arbeitseinsatz teilzunehmen. Yhilda Tashi ist bereit. Als die 20-Jährige Anfang August mit ihrer Chefin und zusammengerechnet 85 Kilo Gepäck, von dem sie 35 Kilo als Spende in der Mongolei lassen werden, ins Flugzeug steigt, hat die junge Frau gerade ihre Ausbildung abgeschlossen.

Zu dem Zeitpunkt weiß Heike Büchner, dass sie bei ihrem Einsatz Leiterin eines international zusammengestellten Teams sein wird. Das sei ein wenig überraschend gekommen, erinnert sich die Zahnärztin. Noch beim Vorbereitungstreffen im Mai in Nürnberg glaubt sie, als Lernende mitreisen zu können. „Ich dachte, ich fahre mit und bohre.“ Nun aber soll sie für den Einsatz in der Steppe die Verantwortung für das Team tragen, das aus zwei jungen Kolleginnen aus Korea und der Ukraine und zwei Helferinnen besteht. Vor Ort kommt ein mongolischer Zahnarzt dazu, der vornehmlich die Aufgabe hat, Zähne zu ziehen, während die angereisten Zahnärzte konservierend arbeiten, also für Füllungen und Prophylaxe sorgen sollen. Eine Dolmetscherin, die „auch Schwerstarbeit leisten muss“, ist immer dabei.

Extreme Arbeitsbedingungen

„Das Wichtigste in der Gruppe ist, dass die Chemie stimmt“, zieht Heike Büchner Bilanz. „Weil die Arbeitsbedingungen extrem sind.“ Angefangen beim mongolischen Sommer, der tagsüber brütende Hitze und nachts Kälte bringt, bis hin zu den hygienischen Verhältnissen. „Es gab kein fließendes Wasser, und die Toiletten waren Plumpsklos.“ Und auch, weil man rund um die Uhr miteinander verbringt. Privatsphäre gibt es in dieser Zeit nicht. Der Gedanke daran tritt aber ohnehin mit jeder Menschenschlange, die sich vor dem Behandlungsraum bildet, in den Hintergrund. „Ich hatte nicht gedacht, dass der Bedarf an Zahnärzten so groß ist“, erzählt Heike Büchner. „Die Patienten haben draußen übernachtet. Morgens standen schon hundert Leute vor der Tür.“

Für Heike Büchner sind die drei Wochen in der Mongolei eine Zeit der gegensätzlichen Erfahrungen. Körperlich sehr anstrengend seien die zwei Arbeitswochen gewesen, in denen das Team täglich bis zu elf Stunden arbeitet und die nur am dazwischen liegenden Sonnabend unterbrochen werden, weil man dann in einen anderen Ort reist, um dort die Behandlungsliegen aufzuklappen und gegen die nächsten Warteschlangen anzuarbeiten. Immer dabei: der Koffer mit einer Turbine für den Bohrer. „Wenn der Strom ausfällt, geht es nicht“, beschreibt die Zahnärztin die Arbeitsbedingungen. „Aber eigentlich hat es mit dem Strom zuverlässig geklappt.“ Ihr Einsatzort ist 250 Kilometer von der Hauptstadt Ulan-Bator entfernt. In jeder Gemeinde, erzählt Heike Büchner, gebe es ein Gebäude, das man Krankenhaus nenne. Dort arbeite ein Arzt, der alle Fachrichtungen abdecken müsse, und eine Krankenschwester. Sie habe mit ihrem Team in dem Gebäude den größten Raum nutzen dürfen.

Die Nachricht, das Zahnärzte kommen, setzt die Menschen der Region in Bewegung. Dass die zahnärztliche Versorgung so dürftig ist, ist nach Ansicht von Heike Büchner ein politisches Problem. „Eigentlich ist die Mongolei nicht arm, aber es gibt zu wenig Zahnärzte.“ Die, die es gibt, würden sich auf die Hauptstadt konzentrieren, die im Übrigen einen völlig anderen Eindruck vermittelt habe als das Leben auf dem Land. Dort aber wohne die Hälfte der Bevölkerung und sei zahnmedizinisch schlecht versorgt. Heike Büchner beschreibt es so: „Der Patient macht den Mund auf, und Sie sehen eine einzige Katastrophe.“ Pro Provinz habe ein Zahnarzt die Aufgabe, zu reisen und zu behandeln. „Aber wenn einmal im Jahr einer für eine Woche zum Zähneziehen kommt, kann das nicht reichen.“ Prophylaxe sei fast nicht bekannt. Die Mutter eines Neunjährigen habe sie gefragt, wann er denn mit dem Zähneputzen anfangen sollte. Ein großes Problem seien die Bonbons und Softdrinks, die überall herumstehen würden. Von vier Regalen in den Läden sei eines mit Lebensmitteln bestückt. In den anderen drei lägen Süßigkeiten. Probleme gebe es aber auch mit dem Wodka, der schon mittags bei brütender Hitze auf den Tisch komme.

Das sei die eine Seite der Erfahrungen gewesen. Zu wissen, dass vor der Behandlungstür Menschen stehen, die zig Kilometer weit gereist sind und dennoch nicht vollständig behandelt werden können, „weil man sich keine zwei Stunden Zeit nehmen kann für jeden einzelnen“, sei frustrierend gewesen. Sie habe in der Zeit auch gelernt, „dass man nicht die Welt retten kann“, blickt Heike Büchner zurück. „Aber man macht das Beste draus. Wir haben es zum Beispiel geschafft, in der zweiten Woche einen Prophylaxeabend anzubieten. Das war schön, und er soll fortgesetzt werden.“

Beeindruckende Erlebnisse

Neben dem Behandlungsmarathon gab es viele beeindruckende Erlebnisse. „Die Gastfreundschaft der Mongolen ist sehr groß, und sie schaffen eine schöne Atmosphäre.“ Sie und ihre Kolleginnen hätten viel gesehen, waren bei Kamelnomaden zu Gast und haben an traditionellen Festen teilgenommen. „In einem Nationalpark haben wir die letzten Wildpferde gesehen, die es noch gibt“, schwärmt die Ärztin, die mit derselben Teambesetzung gern noch weitere Einsätze erleben würde.

Die Chemie hat offenbar gestimmt. „Der Bedarf ist enorm, und die Hilfe wird gebraucht“, sagt sie. „Ich finde es schön, dass ich einen Beruf habe, der mir das ermöglicht.“ Darum möchte Heike Büchner auch gern viele Kollegen dazu animieren. Die müssten für einen solchen Einsatz mindestens 27 Jahre alt sein und drei Jahre Berufserfahrung mitbringen.

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RE: Füllungen wie am Fließband

#2 von carlos , 13.09.2015 12:54

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