Famulatur in Melbourne
In der Semesterpause zwischen dem 7. und 8. Semester ging es für mich „Down Under“ nach Melbourne.
Melbourne ist mit 3,4 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Australiens und Hauptstadt des Bundesstaates Victoria, der im Südosten des Landes liegt.
Um Schönes (das Reisen) und Nützliches (das Famulieren) miteinander zu verbinden, schwebte mir schon seit längerer Zeit vor, mich nach einer Praxis in der Nähe meiner Gastfamilie in East Malvern, einem Stadtteil Melbournes, umzusehen.
Mithilfe der marktführenden Internetsuchmaschine konnte ich einige Praxen in der Nähe meiner Gastfamilie ausfindig machen. Nach einer Vielzahl nächtlicher Telefonate, 3 Monate vor meiner Reise, mit verschiedenen Praxen (Melbourne und Greifswald haben im deutschen Winter einen Zeitunterschied von 10 Stunden) und unzähliger Faxe an Dieselben, ging das lange Warten los.
Eine teilweise in Deutsch verfasste Mail von Dr. Danny Lamm, bereitete meiner Suche ein Ende.
Am Freitag vor Beginn der Famulatur stellte ich mich in der „dental surgery“ vor und wurde aufs Herzlichste empfangen! Neben Dr. Lamm besteht das Praxisteam aus Wei, der zahnärztlichen Fachangestellten und Nina, der Sprechstundenhilfe.
In Australien sind „general practises“ wie die von Dr. Lamm, in der fast alle zahnärztlichen Behandlungen vorgenommen werden, selten. Meist spezialisieren sich die Zahnärzte durch einen Masterstudiengang in Fächern wie Endodontologie, Parodontologie, Implantologie, Prothetik, Kieferorthopädie oder Oralchirurgie.
Behandlungsbeginn war täglich um 8 Uhr, Mittagspause von 13:30-14 Uhr und Ende des Behandlungstages um 18 Uhr. Meine Aufgabe entwickelte sich schnell dahingehend, dass ich die Arbeit der zahnärztlichen Fachangestellten übernahm und so Seite an Seite mit Dr. Lamm arbeiten konnte und immer einen optimalen Einblick in das Arbeitsfeld hatte. Bei interessanten Fällen übernahm ich das ein oder andere Mal den Platz von Dr. Lamm, um mir selbst ein Bild von der Situation zu verschaffen. Schön war auch, dass mir alles erläutert wurde und ich immer nachfragen konnte -; zur Not, wenn es der Patient nicht verstehen sollte -; wurde die Situation auch auf Deutsch diskutiert.
Deutsch kann Dr. Lamm durch seine Eltern, die Österreicher jüdischen Glaubens sind und im 2. Weltkrieg nach Australien flohen.
Da es in Melbourne eine sehr große jüdische Gemeinschaft gibt, hatten wir sehr häufig jüdische Patienten, aber auch Auswanderer aus aller Herren Länder auf dem Stuhl. Die Praxis ist ein wirklicher „melting pot“, was die Arbeit unglaublich bereichert durch das Zusammentreffen verschiedenster Kulturen, allerdings auch manchmal zu Verständigungsproblemen führen kann.
Mittwochs sind viele Praxen geschlossen, weil sich die Zahnärzte zum „golfing-day“ auf den umliegenden Golfplätzen treffen. Auch Dr. Lamms dental surgery war mittwochs geschlossen, was er als Anlass nahm, für mich Praktikumstage bei Spezialisten zu organisieren. So hatte ich die Möglichkeit an einem Mittwoch Dr. Goldman, dem Parodontologen, über die Schulter zu schauen, einem anderen Mittwoch Dr. Rosenberg beim Implantate setzen zu assistieren und noch eine Woche später Dr. Bierenkrants endodontologische Behandlung durch das Mikroskop zu verfolgen. Allerdings wurde bei den Spezialisten jeder Patient vor Behandlungsbeginn gefragt, ob es für ihn in Ordnung ist, dass ich als Zahnmedizinstudentin bei der Behandlung dabei bin.
Im Vergleich zum deutschen Abrechnungssystem ist das Australische absolut simpel. Nach der Behandlung wird bei der Sprechstundenhilfe am Empfang bar oder per Kreditkarte gezahlt, was an Kosten angefallen ist. Zwei Versicherungen bieten eine Zahnzusatzversicherung an, die bei kostspieligeren Versorgungen einen Teil des Geldes wieder an den Patienten zurückzahlen, aber zuerst muss das eigene Konto belastet werden. Deshalb ist es keine Seltenheit, dass eine Füllungstherapie erst einmal um einige Wochen verschoben wird, bis der monatliche Gehaltsscheck des Patienten eingetroffen ist.
Auch die Hygienevorschriften in Down Under sind ein wenig anders als hier in Deutschland. Schutzkleidung, die täglich gewechselt wird, gibt es dort nicht. Alle haben mich immer erheitert „an“gelacht, wenn ich in meinem weißen Baumwolloutfit aufgetaucht bin. Erst am Ende der Woche wird dort die Oberbekleidung gewaschen und jeder trägt die Hose, die er morgens zu Hause im Kleiderschrank findet. Selbes gilt für die Schuhe.
Flüssig-Desinfektion kommt so gut wie nie zum Einsatz, dafür verursacht jeder Patient einen riesigen Plastiktütenberg. Eine Plastiktüte über der Kopfstütze, zwei kleinere über den Griffen an der Behandlungslampe, eine, in die das Tray geschoben wird, eine über jedem Handstück, Sauger, Spritze, Lichthärtelampe…..
Eine lustige Sache ist der eingefärbte Glasionomerzement, der als provisorischer Verschluss zum Einsatz kommt. Farbig deshalb, damit die Patienten mit größerer Wahrscheinlichkeit wieder in die Praxis zurückkommen, um sich definitiv versorgen zu lassen mit zahnfarbenen Restaurationen.
Amalgamfüllungen werden in Dr. Lamms Praxis nicht gelegt. Auf seiner Homepage wirbt er sogar mit „strictly amalgam-free“. Leider ist mir erst bewusst geworden, dass während meiner Zeit dort keine einzige Amalgamfüllung gelegt wurde, nachdem ich zurück in Deutschland war. Deshalb konnte ich über dieses Thema nicht mit Dr. Lamm diskutieren.
Viel Wert wird auf Ästhetik gelegt. So sind grundsätzlich alle Kronen vollverblendet und Bleaching, sowie Überweisungen, auch im fortgeschrittenen Alter zum Kieferorthopäden, sind an der Tagesordnung.
Am Ende bleibt festzuhalten: Einiges ist anders. Vieles ist gleich.
Überaus eindrucksvolle Wochen sind viel zu schnell vergangen. Es ist schön zu wissen, wie schnell man für die Patienten zum „Inventar“ gehört hat und nun schmerzlich vermisst wird.
Ein riesiges Dankeschön geht an Dr. Lamm, der mir diese geniale Erfahrung ermöglicht hat.
Dr. Lamm, a sheynem dank
Dr. Lamm
Behandlungseinheitmit Plastiktüten
Wei, Zahnarzthelferin
Nina, Sprechstundenhilfe
Blick über Melbourne
Flinders St. Station und Federation Square in Melbourne CBD