Immer öfter tauscht Michael Weiss seine Zahnklinik in Ulm gegen einen Hörsaal in London, Neu-Delhi oder Shanghai ein. Dann unterrichtet er Kollegen in seinem Spezialgebiet Implantologie. Wie jetzt in Taipeh.
Über die Touristenmagneten in Ulm gibt es kaum Zweifel: Münster, Fischerviertel, Weihnachtsmarkt und Schwörmontag. Doch seit einiger Zeit übt auch ein Zahnarztstuhl in der Innenstadt einen besonderen Reiz auf ausländische Touristen aus, genauer gesagt eine Zahnklinik. Denn dort zeigt Dr. Michael Weiss Kollegen aus der ganzen Welt, wie eine ordentliche Zahnimplantation funktioniert. Zu solchen Live-Operationen sind bereits Mediziner aus Russland, Griechenland, Rumänien, Aserbaidschan, Irland, Indien, China, Taiwan und anderen Ländern angereist.
"Ich fühle mich schon ein bisschen wie ein ehrenamtlicher Touristen-Führer der Stadt", sagt Michael Weiss und lacht. Viel Zeit bleibt seinen Gästen neben der zahnmedizinischen Fortbildung freilich nicht, aber die größten Attraktionen in Ulm besuchen sie doch meist noch.
Fast genauso oft wie der Chef der Opus Dental Clinic Besuch von Kollegen erhält, reist er selbst in der Weltgeschichte herum. Zuletzt war der 49-Jährige bei einem Kongress in Taipeh, wo er rund 500 Zahnärzte aus Taiwan und China schulte. Im vergangenen Jahr sprach er in Indien in Sälen vor bis zu 2000 Fachärzten. Der Ulmer findet es " beeindruckend, wenn so viele Leute an deinem Wissen interessiert sind".
In Dental-Kreisen weltweit bekannt wurde Weiss durch ein Verfahren, das er mit drei Kollegen und der Sendener Firma Bredent entwickelt hat. Danach können noch am selben Tag, an dem die Implantate in den Kiefer eingesetzt werden, die neuen Zähne aufgesetzt werden. Bisher mussten die Schrauben erst drei bis sechs Monate einwachsen, ehe sie belastet werden konnten. Auch 2000 deutsche Kollegen hat Weiss bislang geschult.
"Es gibt in China und Taiwan sehr gut ausgebildete Zahnärzte. Viele von ihnen haben in Deutschland oder den USA studiert", erzählt Weiss, "aber unser Verfahren kennen sie noch nicht". In Asien würden Neuerungen auf dem Weltmarkt aufmerksam verfolgt. Wenn sich Interessantes ergibt, sprechen die implantologischen Fachgesellschaften die entsprechenden Spezialisten an. Bevor diese eingeladen werden, müssen sie sich einer genauen Prüfung unterziehen. "Eine Delegation aus Taiwan hat mir im Vorfeld einen Tag in Ulm über die Schulter geschaut", berichtet Weiss.
"Es ist immer spannend, neue Kollegen und Entwicklungen kennen zu lernen", freut sich der Ulmer Zahnspezialist. Neben der fachlichen Seite reizt es ihn, in den fremden Ländern herauszufinden, wie dort die Menschen ticken. So schnürt der Hobby-Triathlet seine Joggingschuhe und erkundet per Laufschritt die Umgebung. Und vielleicht, so denkt er in diesen Momenten, zeigt er seinen taiwanesischen Kollegen das beschauliche Ulm auch einmal aus dieser Perspektive.
Info Die Implantologie ist ein Fachgebiet der Zahnheilkunde, bei dem ein Implantat in den Kieferknochen eingesetzt wird. An dieser Schraube wird der künstliche Zahn befestigt.