Zahnheilkunde auf Rädern im Australischen Hinterland

#1 von carlos , 01.01.2013 12:43

Zahnärztliche Praxis in dem riesigen, wilden Hinterland von Australien stellt besondere Probleme dar. Ungewöhnliche Situationen für das ´mobile ´zahnärztliche Team gibt es zu Hauf. In diesem Artikel beschreibt Dr. John Plummer Geschichten aus dem Leben in einem der wohl weiträumigsten Praxiseinzugsgebiete der Welt.
Das Nordterritorium (NT) wird von seinen Bewohnern stolz als ´Top End ´ (Höchste Spitze) von Australien genannt. Es schließt ein riesiges Gebiet ein: vom 128. Bis zum 138. Breitengrad und von dem 12. Bis zum 26. Höhengrad – eine Fläche von rund 1.34 Millionen Quadratkilometern ( circa ein Sechstel des Kontinents) mit einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von weniger als einer Person auf 10 Quadratkilometern. Die Hauptstadt des NT ist Darwin mit einer Einwohnerzahl von rund 75.000 (seit der Zerstörung durch den Zyklonen Tracy am Weihnachtstag von 1974 um 20.000 gestiegen). Es gibt fünf weitere relativ ´große´ Städte: Nhulunbuy (3.500 Einwohner) ungefähr 650 km östlich und nur vier Monate im Jahr über die Straße erreichbar, Katherina (4.500) rund 300 km südlich, Tennant Creek (2.500) weitere 600 km südlich und Alice Springs (16.000) nochmals 500 km weiter südlich. Die restliche Bevölkerung befindet sich in kleinen Orten über das ganze Gebiet verstreut. Vier Jahre lang war ich als Zahnarzt in der Gegend von Katherina tätig: mein ´Revier´, lediglich 600 km lang, streckte sich östlich bis an die Grenze von Queensland und westlich bis an die Grenze von Westaustralien. Alles in allem ein Gebiet von 570.000 Quadratkilometern das Problem; wie ich bald herausfand, bestand nicht in den gewaltigen Druck der Bevölkerung nach zahnärztlicher Versorgung, obwohl Bedarf und Nachfrage groß waren: es waren die enormen Distanzen, die überwunden werden mussten, um zahnärztliche Dienstleistungen zu erbringen. Die einzigen befestigten Fernstraßen waren der Nord-Süd-Highway von Darwin nach Alice Springs, der Barkly-Highway östlich von Tennant Creek zur Queensland-Grenze und der Victoria-Highway westlich nach Westaustralien, der in Katherine beginnt. Mit Ausnahme der Straßen in den Vorstädten von Darwin und anderer Stadtgebiete waren die restlichen Straßen lediglich zerfurchte, staubige Pisten. Wenn das Straßenamt diese Pisten während der Trockenzeit bewertete, galten sie einfach als schlecht: unmittelbar nach der Regenzeit waren sie in einem fürchterlichen Zustand und boten garantiert einen Test für Mensch, Fahrzeug und Ausrüstungen. Als ich den Dienst übernahm bestand unsere Klinik aus drei separaten Behandlungsräumen in dem Katherine Community Health Centre. Zu dem Team gehörten zwei Dentaltherapisten und deren Zahnarzthelferin und ich. Glücklicherweise war da Gesundheitszentrum sowie die Ausrüstungen fast nagelneu. Wir besaßen zwei Einsatzbereiche: zahnärztliche Versorgung für die Bevölkerung der Stadt und der Bevölkerung innerhalb eines Radius von 100 km sowie Versorgung den Patienten außerhalb des 100-km-Radius.
Die Bevölkerung war und ist sehr verstreut. Das ganze Gebiet ist der Rinderzucht gewidmet, die im großen Rahmen mit riesigen Landbesitzen (cattle stations) betrieben wird. In einigen Gebieten befinden sich Gruppen von Aborigines, den Ureinwohnern Australiens, in kleinen Siedlungen. Auf den meisten Rinderfarmen gab es eine kleine Zahl von Leuten, die gewöhnlich um das ´big house´ wohnten, dem Haus des Farmbesitzers (oder Managers).Es wurde bald klar, daß wir einfach nicht jede Farm jährlich besuchen konnten. Schließlich wurde zum Kriterium für einen Besuch der fahrbaren Zahnarztklinik, obdie Farm oder die Siedlung eine Schule besaß. Einige der Farmschulen war allerdings ziemlich klein: ein Lehrer und sechs Schüler, bis zu 20 oder 30 Schüler auf einigen der größeren Farmen. Von einer der Rinderfarmen hieß es sogar, daß ihr dazugehöriger Landbesitz größer als Texas war (bevor dieser aufgeteilt wurde); sie besaß sogar ein eigenes Postamt. Die schulpflichtigen Kinder auf Farmen ohne Schule erhielten ihre Schulausbildung über diese einzigartige australische Lösung: ´Luftschule´ (Unterricht über den Radiosender) – aber das ist eine Geschichte für sich. Die ´mobile´ zahnärztliche Saison begann bewöhnlich im späten April oder Mai, nachdem die Straßen trocken genug waren, um mit unserem schweren Gefährt in relativer Sicherheit zu fahren. Das Team bestand aus einem Fahrer cum Reparaturspezialist für Fahrzeug und Ausrüstung, einer Zahnarzthelferin und einem Zahnarzt. Fuhren wir zu Siedlungen mit garantiert großem Versorgungsbedarf, so nahmen wir eine Dentaltherapistin und ihre Assistentin mit. Unser Fahrzeug war ein Fünftonner mit einem großen 240-Volt-Generator im Heck. Hintendran hatten wir einen Karavan mit dem Spitznamen ´Silberkugel´. Dieses Monster fuhr auf zwei Achsen, die einen Abstand von rund sieben Metern hatten. Der Boden des Karavans lag einen guten Meter über dem Erdboden. Als ich meine erste Reise damit unternahm, hatte ich allen Grund zu sagen, daß es schon bessere Tage gesehen hatte. Es hatte eine Menge Kilometer über einige derschlechtesten Pisten Australiens hinter sich.
Wo auch immer wir anhielten wurde unser Team willkommen geheißen mit dieser speziellen Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die wohl nur Buschbewohner entgegenbringen können. Einige der seltenen Male im Berufsleben eines Zahnarztes, wo er populär war! Unsere Patienten wußten, wie schwierig und teuer es war, Hunderte von Kilometern zur Stadt zu reisen, um zum Zahnarzt zu gehen. Und sie wußten den Service zu schätzen, sich fast in ihren eigenen Vorgärten zahnärztlich versorgen lassen zu können.
Die Sprechstunden begannen früh morgens bei Erwachen der Farmen für jede, der hereinkam. Oft hatte ich um fünf Uhr, bevor die Farmarbeiter hinausritten, um das Vieh zu mustern, ein Handstück oder eine Zange in der Hand. Nach einem kurzen Frühstück folgte die Behandlung der Schulkinder. Danach die restlichen Bewohner, die behandelt werden mussten oder wollten. Die Sprechstunden am späten Nachmittag und frühen Abend waren den heimkehrenden Farmarbeitern gewidmet. Nach Abschluß der Behandlungen auf einer Farm oder in einer Siedlung packten wir alles zusammen, befestigten alle Ausrüstungsgegenstände, um sie davor zu bewahren, auf der Fahrt hin und herzufliegen und auf zum nächsten Ziel, das oft Hundert und mehr Kilometer entfernt lag. Jedes Team befand sich im dreiwöchigen Tournus. Nach drei Wochenging es zurück zur Stadt, um die folgenden drei Wochen wieder ´STädtischeZahnheilkuunde auszuüben. Die Reisezeiten wurden ein bißchen unvoraussehbar um Oktober herum, wenn das Team anfing, den Himmel genau zu beobachten und die Ohren beim Wetterbericht zu spitzen: ein paar Zentimeter Regenfall auf den ´Straßen´ und der Karavan sowie der LWK konnten monatelang an einem Ort feststecken.
Örtliche Stürme verwandelten die Pisten oft in einen einzigen roten Morast. Zu meiner Zeit blieben wir nur ein einziges Mal stecken: für 24 Dosen, wir steckten bis zur Achse unserer Silberkugel im Morast. In dem Nordterritorium wird die Schwere des Steckenbleibens eines Fahrzeugs scherzhaft in der Zahl der Bierdosen gemessen, die das Rettungsteam leert – in diesem Fall der Fahrer und der Zahnarzt – um ihr Flüssigkeitsgleichgewicht in der Hitze beizubehalten und als ein Meßstab für die benötigte Zeit, das Fahrzeug wieder frei zu bekommen.
Farmen wieder zu besuchen, die wir im Vorjahr versorgt hatten, war besonders erfreulich, da die Kinder hinausstürmten, um uns willkommen zu heißen und uns ihre Elternwie alte Freunde begrüßten. Obwohl wir sehr viel Zeit mit Reisen verbrachten und hart arbeiteten, gab es doch Angenehmes… Ich werde nicht den Nervenkitzel vergessen beim Angeln in einem der Flüsse im Westen. (Wir warteten gerade auf ein Ersatzteil für den Verdichter, das eingeflogen werden sollte – das ist meine Geschichte, und bei der bleibe ich.) ich fing meine ersten Barramundas (ein köstlicher Speisefisch, dessen Fleisch immer zart bleibt, gleichviel wie groß er ist), die recht stattliche 14 Kilo auf die Waage brachten. Auf den größeren Farmen verbrachte man Sonntagabend oft unter dem Sternenhimmel und sah einen Spielfilm der während der Woche mit dem Post flugzeug gebracht wurden war. Gelegentlich gab es auch Nachteile: eine große Farm hatte den Koch entlassen, gerade bevor wir ankamen. Die einige Mahlzeiten, die der vorläufige Koch kochen konnte oder wollte, war Corned beef, was wir 21 Mahlzeiten hintereinander der zu genießen bekamen. Die Kommunikation im Hinterland war oft rechtschwierig – die meisten Farmenbesaßen Funktelephon. Die Übertragungsqualität war nicht immer besonders gut. Nahe der feuchten Jahreszeit, wenn nachmittags gewaltige Gewitterwolken am Himmel standen, war der Empfang fast unmöglich. Schließlich trat die Silberkugel letzte Reise an (niemand weinte dem Karavan nach) und wurde durch eine ultramoderne fahrbare zahnärztliche Klinik ersetzt, wofür eigenst das Chassis eines Fernreisebuses verwendet wurde. Was für ein Luxus und Komfort! Klimatisierung während der Fahrt, komplett eingerichtet mit fließendem Druckwasser, einer Röntgeneinrichtung, zwei Behandlungsstühlen, Autoklav und sogar einem kleinen Laboratorium zum Reparieren von Prothesen. Die Bewohner der ersten Farm, die wir je mit der neuen fahrbaren Klinik besuchten, waren äußerst zögerlich herauszukommen, um uns zu begrüßen: sie dachten, wir wären ein Haufen verlorener Touristen, die bei ihnen einfallen wollten. Als wir die Farm verließen, hatte der Buschtelgraph bereits beste Arbeit geleistet. Bei unserer nächsten Station stürmten die Leute auf uns los… jeder auf der Farm wollte in dem neuen komfortablen Behandlungsstuhl bei Klimatisierung behandelt werden. Nach vier Jahren auf Achse war es Zeit für mich, mich wieder in Darwin niederzulassen. Meine letzte Reise mit der Klinik war recht traurig: ich verließ viele Freunde im echten Hinterland. Es war immer eine Freude sie zu besuchen. Nun ist es eine Freude, wenn sie mich in Darwin besuchen

carlos  
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