Greven - Wenn andere den verdienten Urlaub längst herbeisehnen, hat auch Konrad Weiß den Flieger gebucht. Doch der führt nicht an einen schneeweißen Strand, nicht auf karibische Inseln oder in eine blaue Lagune. Konrad Weiß fliegt dahin, wo es kaum Touristen gibt. Der Grevener Zahnarzt behandelt Patienten irgendwo in Afrika, auch in Südamerika. Dort, wo es den Menschen schlecht geht, wo Hunger herrscht, wo Kriege Spuren hinterlassen haben. Statt des 100-fach verstellbaren Zahnarztstuhls und digital gesteuerter Bohrer hat Weiß Spritzen und Zangen im Gepäck.
Der 58-jährige Grevener ist just von seinem letzten Einsatz in Äthiopien zurückgekehrt. Dort an der Grenze zu Somalia, unweit des Provinzortes Dolo Ado, liegt eines von vielen Flüchtlingslagern, in denen die durch Krieg und Hunger vertriebenen Somalier eine Notunterkunft finden. Drei Wochen hat Konrad Weiß dort Menschen behandelt. Einen Zahnarzt haben die meisten zuvor noch nie gesehen. „So groß wie Greven ist das Lager.“ Dort, wo vorher 300 Menschen in einem kleinen Dorf lebten, machen sich jetzt 30 000 Menschen breit. Weiß erinnert die Situation an die Displaced Persons in Reckenfeld.
Den Zähnen gilt seine Aufmerksamkeit. Doch statt weißer, starker und gesunder Zähne prägen Fehl- und Mangelernährung die Gebisse seiner schwarzen Patienten. Während Konrad Weiß bei seinen Patienten in Greven um jeden Zahn kämpft, geht es im Lager nur um zwei Dinge: Betäuben und Extrahieren. Spritze und Zange sind für Konrad Weiß die Grundausstattung. Nicht mehr, nicht weniger. Ein kleines Help-Center ist am Eingang des Lagers aufgebaut. Dorthin kommen die Menschen. Aber Konrad Weiß fährt auch direkt zu ihnen. Die Hilfsorganisation Humedica hat im Zentrum des Lagers ein Behandlungszelt aufgebaut. Nebenan ist ebenfalls unter Zeltbahnen eine kleine Apotheke untergebracht.
„Conny Weiß, dentist from Greven“ tönt es blechern aus einem auf dem Dach eines Lkw montierten Lautsprechers. Die Menschen kommen, suchen Linderung von ihren Schmerzen. Und in der Regel hilft dabei nur die Zange. Die Menschen sitzen auf einem einfachen Plastikstuhl. Wenn Hände und Gesten bei der Schmerzbeschreibung nicht helfen, springt ein Dolmetscher ein.
An sechs Tagen in der Woche arbeitet der kleine, drahtige Zahnarzt. Zeit für ein touristisches Begleitprogramm gibt es nicht, zumal die 60 Kilometer lange tägliche Anfahrt im Four-Wheeler über Stock und Stein und durch mächtig angeschwollene Flüsse geht.
Ausgepumpt verbringt Konrad Weiß den Sonntag, in seiner einfachen Unterkunft, die er gemeinsam mit anderen Helfern teilt. Mit dabei auch der gebürtige Grevener Dr. Christian Lerchenmüller, der als Krebsarzt in Münster arbeitet, und sich gemeinsam mit Zahnarzt Weiß für Humedica International in Äthiopien angemeldet hatte.
Eigentlich hatten die beiden Freunde sich für ein Hilfsprojekt in den äthiopischen Bergen entschieden, weil auch nach Absprache mit den eigenen Familien das Risiko solcher Einsätze minimiert werden sollte. Doch wegen des Flüchtlingsstroms und des unsäglichen Leids der Somalier änderte Humedica die Einsatzorte und die beiden Münsterländer waren plötzlich mitten im Krisengebiet.
Ein bisschen mulmig wurde es Konrad Weiß da schon, zumal unmittelbar vor der beschwerlichen Reise über Addis Abeba in den Süden Äthiopiens zwei französische Ärzte von Rebellen entführt und getötet wurden. Dass sich zudem auch noch die Mitarbeiter des Deutschen Technischen Hilfswerks aus den Lagern an der somalischen Grenze zurückzogen, erhöhte das Sicherheitsgefühl nicht unbedingt. Doch auch dank der Präsenz des Militärs konnte Konrad Weiß seinen Job im Lager sicher absolvieren.
Der Grevener Zahnarzt hat inzwischen viel Erfahrung mit Hilfseinsätzen sammeln können. Vor zehn Jahren begann er seine Tätigkeit bei „Ärzte ohne Grenzen“. Sein erstes Einsatzziel war Caracas in Venezuela. Doch die Mindesteinsatzdauer von sechs Wochen war nicht mit Familie und Beruf zu vereinbaren und so engagierte sich Weiß in anderen Hilfsaktionen, war mit „Ärzte für die dritte Welt“ unterwegs, arbeitete gemeinsam mit der Grevener Zahnärztin Barth in Kenia und war zuletzt auch mit einer weiteren Organisation in einem Gefängnis in Kamerun.
Und auch in den kommenden Jahren wird ein Teil seines Urlaubs in Hilfsprojekte fließen. „Sie sollten nachhaltig sein“, wünscht der Zahnarzt.