Deutschland - ein Auswandererland
..so titelt die Berliner Morgenpost:
Als die Kraft dieses Sommers, den die Norweger als Jahrhundertereignis in ihre Geschichtsbücher einschreiben werden, nachließ, befiel Michael Kellner die Schwermut. Dabei lebte er inmitten seines Traums.
Aus seinem Haus auf einer Insel in Fosnavåg an der norwegischen Westküste blickte er auf Berge, gegen die das Meer brandet; Schnee lag auf den Gipfeln, sattes Grün wogte bis an die Küste. "Doch", sagt Michael Kellner mit fast theatralischem Seufzen, "alle Berge waren bestiegen, alle Fjorde durchwandert, alle Fische gefangen." Das Abenteuer war Alltag geworden. Endlich packte der 29 Jahre alte Zahnarzt seinen unbefristeten Arbeitsvertrag in die Tasche und fuhr in die Klinik. Den Platz für seine Unterschrift beließ er weiß.
Seit zwei Wochen ist Michael Kellner wieder zu Hause in Laaber in der Oberpfalz. Als er vor einem Jahr die Fähre bestieg, dachte er nicht an Rückkehr - so wie viele der 161 000 deutschen Auswanderer des Jahres 2007. Seit den Fünfzigern war ihre Zahl nicht mehr so hoch, meldet der Migrationsbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der gerade veröffentlicht wurde. Die meisten Deutschen gingen in die Schweiz (23 000), die USA (14 000), Österreich (11 000) und Polen (10 000).
100 000 Deutsche kehrten 2007 zurück
Die Hälfte der Emigranten ist zwischen 25 und 50 Jahre alt. Ihre Erwartungen an ein höheres Einkommen, einen sozialen Neuanfang oder das große Abenteuer erfüllen sich aber nur selten. 2007 kehrten deshalb 100 000 Deutsche zurück.
Vor allem an Mittwochen merkte Michael Kellner, was ihm fehlte: "Wenn abends im Radio die Champions League übertragen wurde, konnte ich es nicht ertragen, kein Bild zu sehen. In Norwegen spielt Fußball kaum eine Rolle." So deutsch kannst du doch gar nicht sein, habe er dann beschämt gedacht. Auch in der Arbeit merkte er schnell, dass er anders tickte als die norwegischen Kollegen. Dabei hatte sich der junge Arzt von dem Job in einer staatlichen Zahnklinik bei Ålesund viel versprochen.
Eineinhalb Jahre zuvor, Michael Kellner hatte gerade sein Studium beendet, las er in den "Zahnärztlichen Mitteilungen" ein Inserat. Norwegen suchte Leute wie ihn. Von Steuererleichterung war die Rede, von 36-Stunden-Woche, von einem Grundgehalt von 5000 Euro - dem Doppelten eines Berufseinsteigers hierzulande. Kellners Neugier war geweckt. Ein Lebenslauf in englischer Sprache mit Foto und Kopien der Zeugnisse, mehr wurde nicht verlangt. Schon Ende April traf er in Hamburg ein, zum Informationstag der Fylker, der norwegischen Regierungsbezirke. "Ich hatte sofort das Gefühl, dass man wirklich an mir interessiert war", sagt Kellner, der sich für die Fylke Møre og Romsdal an der Westküste entschied. Die Skandinavier finanzierten ihm schließlich einen dreimonatigen Sprachkurs in Berlin und den Umzug nach Fosnavåg.
In Norwegen leiden viele Regionen unter der Abwanderung der Bevölkerung. Es ist eine Situation ähnlich der in Ostdeutschland, wo die ärztliche Versorgung längst nicht mehr flächendeckend ist. Doch während dort mittlerweile Gemeindeschwestern die Arbeit von Medizinern übernehmen, wirbt Norwegen massiv um ausländische Ärzte.
Emigranten sind meist gut ausgebildet
Kirsti Lumban-Tobing vermittelt etwa 30 Deutsche pro Jahr. "Deutsche sind in Norwegen als Fachkräfte geschätzt", sagt sie. Bessere Bezahlung, vor allem aber die Aussicht auf weniger Stress lockten die Zuwanderer. Zwei Drittel derjenigen, die Lumban-Tobing über die Jahre nach Norwegen holte, blieben. Laut Bundesärztekammer verließen 2007 insgesamt rund 2500 Ärzte Deutschland. Vor sechs Jahren waren es noch 1000 weniger.
"Die Mehrzahl aller deutschen Emigranten ist gut ausgebildet", sagt Steffen Wiegmann vom Auswandererhaus in Bremerhaven. Wer dagegen Fernsehsendungen wie "Mein neues Leben (XXL)" oder "Goodbye Deutschland!" guckt, gewinnt den Eindruck, als zögen eher die einfachen, gar die einfältigen Menschen fort. "Fernsehleute gestanden mir, dass sie Leute auswählen, die viele Probleme verursachen" sagt Wiegmann.
Auswanderung ist in den Köpfen der Zuschauer als dramatischer, abenteuerlicher und vor allem endgültiger Schritt gespeichert. Doch das One-Way-Ticket nach Übersee ist heute nur noch Klischee. Auswanderung ist ein kalkulierter Prozess geworden aus Abschied, Wiedersehen und erneutem Abschied.
Auch Michael Kellners Weggang war wohl organisiert. Norwegen erlebte er als Land, das keine Eile kennt - leider: "Ich vermisste bald Tempo, Druck, fühlte mich irgendwann wie gelähmt. In der Klinik konnte ich nach jeder Behandlung Kaffeepause machen." Um 15.15 Uhr war Kellners täglicher Dienst zu Ende, doch die Sommersonne schien bis Mitternacht. Begeistert, fast obsessiv kletterte Kellner auf Berge, berauschte sich an der norwegischen Natur - und langweilte sich in der Klinik umso mehr. "Ich hatte Angst vor dem Stillstand, wollte mich medizinisch weiterentwickeln", sagt er. Seine Chefin bemerkte die Zweifel, redete auf ihn ein, bis März zu bleiben, zumindest bis Weihnachten. Mitte Oktober aber gab Kellner ihr den Vertrag zurück. "Sie war enttäuscht, aber ich war es nicht. Ich passte einfach nicht in dieses System", sagt er.
In ein paar Wochen will Michael Kellner in einer Praxis in München anfangen. Aber auf Dauer hier bleiben? Michael Kellner blättert durch die neue Ausgabe der "Zahnärztlichen Mitteilungen". "Zahnarzt in Dubai - Profi-Auswandererhilfe", liest er gedankenverloren. "Hm, da muss ich mal anrufen." weitere Texte zum Thema "als Zahnarzt auswandern findet man im zahniforum.tk