LÜBECK – Das Komitee Ärzte
für die Dritte Welt e.V. unterhält
derzeit in fünf Ländern
neun Projekte. Eine der zahnärztlichen
Hilfsmaßnahmen
ist auf der Insel Mindanao im
Süden der Philippinen verortet.
Ich hatte mich schon länger
für die Arbeit des Komitees interessiert
und nach einem Informationstag
in Frankfurt am
Main im Jahre 2002 entschloss
ich mich zur aktiven Mitarbeit.
Inzwischen habe ich bereits vier
Mal einen sechswöchigen Einsatz
mit der „Rolling Clinic“, eine
mobile Ambulanz, auf Mindanao
gemacht.
Da sich die Aufgaben dort
sehr stark von den hiesigen Bedingungen
unterscheiden, ist
eine gründliche Vorbereitung
unerlässlich. Hilfreich im Vorfeld
sind die Einsatzberichte anderer
Zahnärztinnen und Zahnärzte,
spezielle Ausrüstungstipps
und Impfempfehlungen für
das jeweilige Einsatzgebiet. So
gehören Moskitonetz, Isomatte
und Schlafsack dazu, da wir an
den Einsatzorten unter einfachsten
Bedingungen übernachten.
Für die Arbeit vor Ort besorgte
ich passende Handschuhe, resorbierbares
Nahtmaterial, Gelastypt
und eine Stirnlampe. Alles
Dinge, die ich sehr gut gebrauchen
konnte.
Meine erste Reise begann
am 9. Januar 2003. Bei zwölf
Grad minus startete ich von
Hamburg aus und nach zwölf
Stunden Flug kam ich in Manila
bei plus 31 Grad an. Die Hitze,
der enorme Verkehr, hektisches
Treiben und der Lärm waren gewöhnungsbedürftig.
Nach einer
Übernachtung in einer kleinen
Pension flog ich am nächsten
Tag zum eigentlichen Ziel: die
Hafen- und Universitätsstadt
Cagayan de Oro auf der Insel
Mindanao. Im „Doctor House“ in
der Stadt beziehen alle Ärzte
Quartier, von hier aus starten
jeweils für zehn Tage die Autos
der „Rolling Clinics“ zu den ausgewiesenen
Einsatzgebieten.
Zur Anpassung an die örtlichen
Bedingungen – man bedenke die
Zeitdifferenz von sieben Stunden
– bleibt oft wenig Zeit, denn
bald startet der Jeep mit dem
kompletten Team: ein Fahrer –
während der Behandlung assistiert
und übersetzt er – und drei
Schwestern, Philipinos, sowie eine
Zahnärztin oder ein Zahnarzt
sowie eine Ärztin oder ein Arzt
einer weiteren Fachrichtung.
Ein Einsatz in der
„Rolling Clinic“
Nach einem festen Einsatzplan,
der in über 20 Jahren entwickelt
wurde, fahren wir in regelmäßigen
Abständen Dörfer
im Bukidnon-Gebirge (bis 3.000
Meter Höhe) an. Mit dem Einsatz
wird eine kontinuierliche basismedizinische
Versorgung der
Ureinwohner gewährleistet und
er ist für sie der einzige Zugang
zu einer medizinischen Betreuung.
Nur jede vierte Tour der
„Rolling Clinic“ bringt einen
Zahnarzt mit, so ist der Behandlungsbedarf
riesig und besteht
ausschließlich aus Extraktionen.
Anfangs kam ich damit nur
schwer klar, dass ich Zähne
extrahieren musste, die man bei
uns problemlos erhalten kann.
Füllungen zu legen, habe ich
nach einigen Versuchen aufgegeben.
Dafür waren die Materialien
und die Möglichkeiten
zu schlecht (Handaufbereitung).
Die Patienten wünschen ohnehin
die Extraktion, da es aus ihrer
Sicht die beste Lösung für
Schmerzfreiheit ist.
Die Fahrten zu den Dörfern
sind lang, beschwerlich und mitunter
mit großen Überraschungen.
Die Landschaft ist faszinierend,
hohe Berge, leider oft total
abgeholzt, und umgeben von einer
üppigen Natur. So geht es
durch Flussläufe, über klapprige
Holzbrücken und Wege voller
Schlamm nach heftigen Regenfällen.
Oft geht es nur mithilfe
von Dorfbewohnern weiter.
Werden die Wege über Nacht
unpassierbar, helfen uns die
Karabau-Gespanne oder die Eingeborenen
tragen die schweren
Kisten auf die Berge.
Oft kommen die Menschen
von weit her, zu Fuß oder zu
Pferde – meist Mütter mit ihren
vielen Kindern. Männer im arbeitsfähigen
Alter sind selten,
denn wer Glück hat, wird von
den Plantagenbesitzern (Zuckerrohr,
Ananas, Palmöl) angefordert.
Feste Arbeit haben die
wenigsten.
Mithilfe der örtlichen Healthworker
werden die verschiedenen
Arbeitsplätze aufgebaut:
Bei der Anmeldung erhält jeder
Patient seine „Blue Card“, die
ihm eine kostenlose Behandlung
ermöglicht. Nun wird die Anamnese
eingetragen, Blutdruck wie
Gewicht gemessen und in der
Karte notiert. Es folgt die Behandlung
beim Arzt. Daraufhin
erhält der Patient notwendige
Medikamente. Anschließend
kommen die Patienten zum
Zahnarzt. Dessen idealer Standort
für den Arbeitsplatz ist aufgrund
der Lichtverhältnisse –
elektrisches Licht gibt es nicht
– im Freien mit einer Überdachung.
Meine Hilfe für die Patienten
ist ausschließlich die Zahnextraktion.
Die Anzahl der Patienten
für die tägliche Behandlung
schwankt zwischen 20 bis 90,
so werden es manchmal bis 170
Extraktionen pro Tag. Schluss ist
erst, wenn auch der letzte Patient
behandelt wurde, möglichst bis
18 Uhr, dann wird es dunkel. Pro
Einsatz habe ich übrigens durchschnittlich
1.000 Patienten behandelt
und dabei circa 1.700
Zähne extrahiert. Jeder Patient
erhält nach der Extraktion Paracetamol,
wenn notwendig auch
Amoxicillin, denn der nächste
Zahnarzt kommt frühestens in
vier Monaten.
Wichtig ist ein guter Start,
denn alle schauen zu. Philippinos
kennen keine Diskretion
und so sind wir von Anfang bis
Ende dicht umlagert. Das Wort
„sakit“ (Schmerz) geistert die
ganze Zeit um uns herum und jeder
Behandelte wird schon nach
der Injektion gefragt: Sakit?
Die Gebiss-Situation der
Kinder und Jugendlichen ist
oft sehr schlecht: kariös zerstörte
Milch- und Wechselgebisse.
Viele Kinder haben als Folge vorzeitigen
Milchzahnverlustes erhebliche
Stellungsanomalien.
Oft hatte ich Schulklassen der
Elementarstufe zu behandeln,
das bedeutet, den ganzen Vormittag
extrahierte ich Sechsjahrmolaren.
Ganz wichtig ist es,
dass man sein Können unter
diesen Umständen nicht überschätzt,
denn man steht für alles
allein da, ohne Röntgen und Klinik
im Hintergrund. Mitunter
kann das eine Gratwanderung
werden, da oft auch Extraktionen
von Weisheitszähnen bei Erwachsenen
notwendig werden.
Die Ursachen der schlechten
Mundgesundheit sind die fehlende
Zahnpflege und der hohe
Zuckerkonsum. Die tägliche
Hauptnahrung ist Reis zu jeder
Mahlzeit. Doch auch in den entlegensten
Bergregionen gibt es
kleine Lädchen mit Süßigkeiten
und Rum. Sicher sind viele Kinder
auch hungrig und kaufen für
wenige Pesos Süßigkeiten. Die
hohe Kinderzahl der Familien
(sechs bis zehn), die Armut und
Unwissenheit der Eltern sowie
andere existenzielle Schwierigkeiten
und Krankheiten (Wurmbefall,
Skabies, Läuse und Infekte)
lassen die Notwendigkeit
der Zahngesundheit weit hinten
rangieren. Es gibt aber Ansätze
zur Hoffnung. So werden neuerdings
in der „Rolling Clinic“
Zahnpasta und Zahnbürsten
preisgünstig verkauft. Es liegt an
uns und den örtlichen Healthworkern,
die richtige Anwendung
zu vermitteln.
Nach zehn anstrengenden Tagen
fahren wir ins „Doctor House“
nach Cagayan de Oro zurück.
Nach jeder Rückkehr an diesen
Ort fühle ich mich wie im Paradies:
ein eigenes Zimmerchen mit
Bett, fließendes Wasser und eine
„normale“ Toilette. Nun liegen
vier freie Tage vor mir, nette Gespräche
mit den Kollegen, einen
Besuch im Internet-Café für die
Rund-Mail nach Hause und eine
Fahrt auf die Insel Camiguen. Danach
folgen zwei weitere jeweils
zehntägige Touren mit neuem
Team und neuem Ziel. Bei meinen
vier Einsätzen habe ich viele
Kollegen kennengelernt, meist
ältere, aber zunehmend auch jüngere.
Die Motivation zur Mitarbeit
im Komitee ist unterschiedlich,
aber jede Person möchte von seinem
Können etwas an Menschen
weitergeben, denen es nicht so
gut geht wie uns.