Umgekehrter Narzissmus: Wenn Menschen zwei Gesichter haben
Wenn die Nettigkeit nach außen nur eine Fassade ist, könnte umgekehrter Narzissmus eine Rolle spielen.
Manche Menschen muss man einfach gern haben. Sie sind selbstlos, opfern sich für andere auf und sind immer da, wenn man sie braucht. Dafür werden sie auch von allen geschätzt und geliebt. Was aber, wenn dieser Typ Mensch, den man als Nettigkeit in Person beschreiben würde, eigentlich gar nicht so nett ist, wie man denkt? Wenn er nach außen hin immer den Sonnenschein gibt und in der Beziehung plötzlich zum Arschloch wird? Dann hat man es unter Umständen mit umgekehrtem Narzissmus zu tun. Und das ist ne ziemlich bescheidene Angelegenheit. Was es damit auf sich hat und warum das vor allem für die Partner*innen so schmerzhaft ist, verraten wir Ihnen jetzt.
Narzissten hier, Narzisstinnen da, überall ist nur noch von Narzissmus die Rede. Die psychologische Persönlichkeitsstörung hat sich ins Zentrum der Aufmerksamkeit geschoben und ist zum Sammelbegriff für schlechte menschliche Eigenschaften geworden, die häufig gar nichts mit Narzissmus zu tun haben (Stichwort: Therapy Speak). Damit sowas nicht passiert und man sich auch wirklich mal darüber informiert, was Narzissmus überhaupt bedeutet, haben wir vor kurzem einen Artikel über die große Narzissmus-Lüge geschrieben. Lohnt sich die mal abzuchecken und durchzulesen – in jeglicher Hinsicht. So und jetzt weiter im Text.
Umgekehrter Narzissmus: nach außen nett, nach innen fies
Narzissmus im klassischen Sinne bezeichnet eine Personeneigenschaft, bei der sich Betroffene übermäßig egoistisch und manipulativ verhalten. Alles muss sich um sie drehen, sie sind selbstverliebt und nehmen auch alles persönlich. Beim umgekehrten Narzissmus sieht das dagegen anders aus. Menschen, die von dieser besonderen Narzissmusform betroffen sind, sind nach außen hin der empathische Sonnenschein. Sie sind für andere da, helfen, wo sie können, und opfern sich gerne für andere auf. Alle schätzen sie, alle mögen sie. In ihrer Beziehung dagegen, wenn sie nur noch mit einem Menschen alleine sind, zeigen sie dann ihr wahres Gesicht. Und das sieht aus, wie man sich das Gesicht einer narzisstischen Person eben vorstellt: egozentrisch, rücksichtslos und gemein. Plötzlich wird aus den vermeintlichen Sonnenschein ein echter Tyrann. Aber warum nur? Und warum gerade bei der Person, die man ja eigentlich liebt?
Gemein in der Beziehung: die Logik des umgekehrten Narzissmus
Das mag jetzt alles erst mal komisch klingen. Wir haben also einen Menschen, einen echten Sonnenschein, der immer für alle da ist, und der soll ausgerechnet in seiner Beziehung dann zum Voll-Narzissten werden? Genau, so ist es. Auch wenn das zunächst paradox klingt, ist es eigentlich ziemlich logisch zu erklären. Andere Menschen so zu manipulieren, wie es den eigenen Bedürfnissen am besten passt, ist eine typisch narzisstische Eigenschaft. Und genau das passiert beim umgekehrten Narzissmus auch. Betroffene verhalten sich gegenüber anderen superfreundlichen und helfen ihnen, wo auch immer sie können, um ihre Bewunderung und Bestätigung zu bekommen. Sie wollen von allen gemocht werden und inszenieren sich deshalb als Hilfsbereitschaft in Person. In ihrer Beziehung sieht es dagegen anders aus. Hier fühlen sich umgekehrte Narzisst*innen so sicher – immerhin haben sie die andere Person ja eh schon in der Tasche –, dass sie hier ihr wahres Gesicht zeigen. Die leidtragenden Personen bekommen alles ab und müssen die Persönlichkeitsstörung des*der Partner*in ausbaden. Keine leichte Aufgabe!