Clindamycin ist »out«

#1 von carlos , 26.10.2023 00:32

Wann und welche Antibiotika sollten in der Zahnmedizin zum Einsatz kommen – und wie lange? Das erläuterte der Vizepräsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein bei einer interdisziplinären Fortbildung.
Laut letztem GERMAP-Bericht zu Antibiotikaresistenz und -verbrauch in Deutschland gehen 7 Prozent der humanmedizinischen Antibiotikaverordnungen auf das Konto von Zahnärzten, erläuterte Dr. Kai Voss, selbst niedergelassener Zahnarzt, bei einer gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der schleswig-holsteinischen Heilberufskammern vergangene Woche in Kiel. Daten aus dem Jahr 2010 zufolge verschrieben die Zahnmediziner in 50 Prozent der Fälle Clindamycin – »das ist zu viel«, ordnete Voss ein. »Wir brauchen Antibiotika an bestimmten Stellen, doch ist hier Amoxicillin das Mittel der Wahl. Clindamycin sollte nur bei einer Penicillin-Allergie zum Einsatz kommen.«

Er stellte anhand der aktuellen Leitlinien vor, bei welchen zahnmedizinischen Eingriffen überhaupt Antibiotika verordnet werden sollen. Liegt zum Beispiel eine odontogene Infektion vor, also eine Entzündung am Zahn oder Zahnhalteapparat (Parodontium), kann unter Umständen sogar auf Antibiotika verzichtet werden. Bei Ausbreitungstendenzen soll ein Aminopenicillin gegebenenfalls mit Betalactamase-Inhibitor gegeben werden. »Damit bekommen wir in der bakteriellen Flora odontogener Infektionen eigentlich alles erschlagen«, so Voss. Auch bei chirurgischen Eingriffen wie der Entfernung von Weisheitszähnen oder Implantaten gibt es keine klare Empfehlung für (oder gegen) Antibiotika. »Wenn, dann gibt man eher vor der OP eine Einzeldosis«, berichtet der erfahrene Zahnarzt.

Bei einer Parodontitis kommt es auf das Alter und das Ausmaß der Läsionen an. Bei Patienten mit chronischer Parodontitis und einem Alter ab 56 Jahren sollte laut Leitlinie primär keine Antibiotikatherapie erfolgen, ebenso wenig bei einem geringeren Anteil parodontaler Läsionen. Bei Patienten unter 56 Jahren und mehr Läsionen gibt es eine Kann-Empfehlung. Bei Patienten unter 35 Jahren und aggressiver Parodontitis sollte adjuvant ein Antibiotikum gegeben werden. Erste Wahl ist hier der sogenannte Van-Winkelhoff-Cocktail: Amoxicillin 500 mg plus Metronidazol 400 mg jeweils dreimal täglich für sieben Tage. Falls der Zahnarzt ein orales Antibiotikum verordnet, seien sieben Tage im Übrigen die übliche Behandlungsdauer, so Voss auf Nachfrage der PZ.

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RE: Clindamycin ist »out«

#2 von carlos , 26.10.2023 00:33

Im Jahr 2021 wurden 56 % der zulasten der GKV abgegebenen Clindamycin-Tagesdosen von Zahnärzt*innen verordnet.
01.03.2023 - Berlin Gradl G Enners S
Foto: ESB Professional

Das Antibiotikum Clindamycin ist gemäß der Leitlinie für die Behandlung odontogener Infektionen nicht Wirkstoff erster Wahl [1]. Es kann bei Patient*innen mit einer Penicillinallergie eingesetzt werden. Liegt diese nicht vor, sollte bevorzugt das effektivste und verträglichste Antibiotikum angewendet werden, wie z. B. Penicillin V/G, Amoxicillin oder Ampicillin. Dennoch wurde Clindamycin in der ambulanten Zahnheilkunde in den letzten Jahren nach Amoxicillin am häufigsten verordnet [2]. Diese hohe Verordnungsrate ist kritisch zu betrachten, da Clindamycin vergleichsweise häufig mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs) verbunden ist und entsprechend seit vielen Jahren in der von der Arzneimittelkommission der Zahnärzte geführten Statistik der bundesweit gemeldeten UAWs einen der vorderen Plätze einnimmt [3].
Das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut e. V. (DAPI) hat die Entwicklung ambulanter zahnärztlicher Verordnungen systemischer Antibiotika zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Zeitraum 2017 bis 2021 untersucht und die Ergebnisse publiziert[2]. Insbesondere wurde auf die Änderung der abgegebenen definierten Tagesdosen (Defined Daily Doses, DDD) pro 1.000 GKV-Versicherte pro Tag (DDD per 1.000 Inhabitants per Day, DID) von Clindamycin eingegangen. Die zahnärztlichen Verordnungen wurden mit allen Verordnungen systemischer Antibiotika in der ambulanten Versorgung zulasten der GKV verglichen (siehe Grafik). Die Verordnung von Clindamycin durch Zahnärzt*innen ging zurück von 0,37 DID im Jahr 2017 auf 0,29 DID im Jahr 2021.
Der Anteil der zahnärztlichen Clindamycin-Verordnungen an den Verordnungen aller systemischer Antibiotika der Zahnärzt*innen ging zwar im Zeitraum ebenfalls zurück (von 31 % auf 24 %). Diese Anteile sind trotz des erfreulichen Negativ-Trends vor dem Hintergrund der Leitlinien-Empfehlung und der Prävalenzen von Penicillin-Allergien in Europa immer noch als Überverordnung zu bewerten.
Die Clindamycin-Verordnungen der ambulanten Versorgung zulasten der GKV insgesamt gingen von 0,63 DID (5,0 % Anteil) im Jahr 2017 auf 0,53 DID (6,5 % Anteil) im Jahr 2021 zurück. Im Jahr 2021 wurden demzufolge 56 % der Clindamycin-Verordnungen in der ambulanten Versorgung zulasten der GKV von Zahnärzt*innen ausgestellt.

[1] Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG), Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). S3-Leitlinie Odontogene Infektionen, AWMF-Reg.-Nr: 007-006. register.awmf.org/de/leitlinien/detail/007-006 (letzter Zugriff 14.12.2022)
[2] Gradl G, Kieble M, Nagaba J, Schulz M. Assessment of the Prescriptions of Systemic Antibiotics in Primary Dental Care in Germany from 2017 to 2021: A Longitudinal Drug Utilization Study. Antibiotics. 2022;11(12):1723.
[3] Schindler C, Nagaba J, Schumacher C. Die Arzneimittelkommission Zahnärzte informiert: UAW-Meldungen zu Clindamycin wieder zunehmend. www.zm-online.de/archiv/2019/07/zahnmedi...eder-zunehmend/ (letzter Zugriff 14.12.2022)

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RE: Clindamycin ist »out«

#3 von carlos , 26.10.2023 00:35

Antibiotika in der Zahnmedizin
Frank Halling
Übersicht
Einleitung 67
Resistenzsituation in der
Zahnmedizin 68
Formen der antibiotischen Therapie 69
Indikationen für eine
Antibiotikatherapie 69
Wissenschaftliche Empfehlungen
zum Antibiotikaeinsatz 70
Klinische Aspekte der empfohlenen
Antibiotikagruppen 71
Antibiotikaprophylaxe 73
Endokarditisprophylaxe 74
Struktur zahnärztlicher
Antibiotikaverordnungen 76
Interaktionen der am häufigsten
verwendeten Antibiotika

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antibiotika_zahnmedizin.pdf
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