Narzisstische Persönlichkeitsstörung

#1 von carlos , 19.09.2021 18:36

Patienten mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung stellen sich Therapeuten meist wegen komorbider Störungen vor. Sie sind häufig selbstdestruktiv, neigen zum Abbruch von Beziehungen und zu Suizidversuchen.

Narzissmus zieht das Interesse auf sich, weil es Hinweise gibt, dass der Anteil der Narzissten in der Bevölkerung zunimmt. Meistens geht es hierbei jedoch um den subklinischen Narzissmus. Die pathologische Form, die narzisstische Persönlichkeitsstörung, findet weitaus weniger Beachtung. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie als wenig verbreitet gilt, ein anderer, dass sie relativ selten empirisch untersucht wird.

Nach DSM-IV-TR beziehungsweise DSM-5 gibt es folgende Kriterien für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung: Die Betroffenen haben ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit, sie verlangen nach übermäßiger Bewunderung, sie idealisieren sich selbst und sind stark von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz oder Schönheit eingenommen. Sie glauben von sich, besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen außergewöhnlichen oder angesehenen Personen oder Institutionen verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können. Darüber hinaus zeigen sie ein offensives Anspruchsdenken und erwarten, bevorzugt behandelt zu werden.

Ausnutzende Tendenzen und Mangel an Empathie

In zwischenmenschlichen Beziehungen sind sie häufig ausbeuterisch und ziehen zum Beispiel Nutzen aus anderen Personen, um die eigenen Ziele zu erreichen. Ihnen mangelt es zudem an Empathie, das heißt, sie sind nicht willens oder fähig, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren. Außerdem sind sie häufig neidisch auf andere oder glauben, andere seien neidisch auf sie. Im Umgang mit anderen geben sie sich überheblich. Mindestens fünf dieser Kriterien müssen erfüllt sein, um die Diagnose stellen zu können.

Aktuelle Forschungsbefunde legen nahe, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung noch weitere Facetten als die aufgeführten besitzt. Während beispielsweise im DSM-5 von einem hohen (grandiosen) Selbstwert ausgegangen wird, zeigt eine aktuelle Studie deutscher Psychologen um Aline Vater von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, dass Betroffene einen niedrigeren Selbstwert als gesunde Kontrollpersonen aufweisen. Die amerikanische Psychiaterin Elsa Ronningstam von der Harvard Medical School in Belmont (USA) weist zudem darauf hin, dass Betroffene nicht nur selbstverliebt und großspurig, sondern durchaus auch unsicher, scheu, depressiv und übersensibel wirken können. Dies scheint auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen. Nach Ronningstam dienen aber auch solche Facetten der Störung dazu, den Betroffenen das Gefühl von Überlegenheit zu verschaffen und sich psychisch zu stabilisieren. Des weiteren wurde die narzisstische Persönlichkeitsstörung im DSM-5 (Sektion III) teilweise neu konzeptioniert, etwa indem ihr nicht nur grandiose, sondern auch vulnerable Charakteristika zugeschrieben werden. Neuere Befunde und Entwicklungen wie diese deuten darauf hin, dass die Erforschung der Störung noch lange nicht abgeschlossen ist.

Patienten mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gelten als schwierige Mitmenschen und unbeliebte Patienten. Sie leiden unter ihrer Störung, verursachen aber auch viel Leid bei anderen. Schwierig im Umgang mit anderen Menschen sind die Betroffenen (nach DSM-5) unter anderem deshalb, weil sie ständig Aufmerksamkeit und Bewunderung einfordern, diese aber anderen nicht zukommen lassen. Sie werten andere ab und treten oft überheblich auf. Sie wollen stets im Mittelpunkt stehen, sind aber unfähig, sich in andere einzufühlen und sich mit ihnen zu identifizieren. Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen nehmen sie nur zur Kenntnis, wenn sie für die eigene Person relevant sind. Sie sind nicht in der Lage, tiefe und dauerhafte Beziehungen einzugehen. Sie haben kein authentisches Interesse an anderen und benutzen sie ausschließlich zur Erreichung eigener Ziele.

Wegen komorbider Störungen in Therapie

Diese Eigenschaften macht den Umgang mit den Betroffenen nicht gerade einfach – dennoch wirken sie oft anziehend und haben in bestimmten Lebensbereichen sogar Erfolg mit ihrer Art, etwa in Führungspositionen. Fehlende Freundschaften, Isolation und andere Nachteile können viele von ihnen oft lange kompensieren. Erst ernsthafte Krisen und hoher Leidensdruck führen sie in die Therapie, wo sie sich aber zumeist wegen komorbider Störungen vorstellen und behandeln lassen.

Auch in der Therapie zeigen sich die Charakteristika der Erkrankung, sodass Therapeuten damit rechnen müssen, arrogant und abwertend behandelt zu werden. Die Patienten sind darüber hinaus selbstdestruktiv und neigen zum Abbruch von Beziehungen und zu Suizidversuchen. Sie verdrängen Abhängigkeitsbedürfnisse, erschweren den Aufbau eines therapeutischen Arbeitsbündnisses und zeigen dissoziale Züge. Außerdem betrachten sie ihr Verhalten oft als angemessen und sind daher nur schwer zu Veränderungen zu motivieren. Dies stellt Therapeuten vor besondere Herausforderungen.

Es gibt eine Vielzahl an therapeutischen Ansätzen (zum Beispiel psychoanalytische oder dialektisch-behaviorale), um die narzisstische Persönlichkeitsstörung zu behandeln. Allerdings wurden bislang keine empirisch-wissenschaftlichen Studien zur Psychotherapie narzisstischer Patienten publiziert, daher meint die Psychologin Vater: „Die Grundlagen einer spezifischen Psychotherapie sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht geklärt.“ Schulenübergreifend lassen sich in der Literatur dennoch verschiedene Therapieziele finden, so zum Beispiel eine Verbesserung der Beziehungsfähigkeit und Flexibilität, eine Reduktion narzisstischer Verhaltensweisen oder die Aktivierung hilfreicher Ressourcen. Auch Techniken, die die Einsicht des Patienten in die Funktion der narzisstischen Verhaltensweisen sowie eine realistische Selbstwahrnehmung fördern, oder die zum Aufbau stabiler sozialer Bindungen oder zur Emotionsregulation beitragen, sollten vermittelt werden. Darüber hinaus sollte der Therapeut nicht mit Gegenwehr und Rückzug, sondern wertfrei und wertschätzend reagieren. Die erhöhte Suizidgefährdung der Patienten sollte bei jeder Behandlung berücksichtigt werden.

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