Bohren in der Jurte
„Zahnärzte ohne Grenzen“ helfen in der Mongolei
Nürnberg - Wochenlang in Zelten schlafen, kostenlos arbeiten, Strom selbst erzeugen: Bei ihrem bislang größten Einsatz hat die Nürnberger Stiftung „Zahnärzte ohne Grenzen“ in der Mongolei rund 6000 Patienten behandelt.
Ein Zahnarzt behandelt ein kleines Mädchen irgendwo in der Mongolei: Die helfenden Mediziner müssen zunächst einmal einen kleinen Kulturschock überwinden, bevor sie zum Bohrer greifen.
„Tatsächlich? 10.000 Kilometer weit reisen diese Zahnärzte aus Spanien, Schottland und Deutschland, um uns kostenlos zu behandeln?!“ Das ehrenamtliche Stiftungsengagement, erzählt die Nürnberger Chirurgin Tuul Sodnompil, ruft bei den Menschen in der Mongolei immer wieder Staunen und Verwunderung hervor. Sicher, es ist nicht selbstverständlich, dass europäische Zahnärzte auf eigene Rechnung in die Mongolei fliegen, um von der Hauptstadt Ulaanbaatar aus mit dem Auto, zum Teil über Feldwege, in die dünn besiedelten Provinzen des Landes vorzudringen und, fern von Luxus und Komfort, die arme Bevölkerung zwei Wochen lang kostenlos zu behandeln.
Ist vor Ort die mobile Zahnstation — Behandlungsstuhl, Licht, Kompressor, zahnmedizinisches Gerät, das mit Strom von einem Generator betrieben wird – erst einmal aufgebaut, wird bis zu zwölf Stunden am Stück gearbeitet: Zähne ziehen, bohren, Füllungen setzen, Grundversorgung leisten. Das ist bitter nötig. In manchen Gegenden des Landes mit seinen 21 „aimags“ (Regierungsbezirke) und über 330 „sums“ (vergleichbar mit den deutschen Landkreisen), berichtet Sodnompil, gibt es nämlich seit Jahrzehnten keinen Zahnarzt. Von 900 Zahnärzten in der Mongolei sind nur 200 außerhalb der Hauptstadt tätig, und das in einem Land, das fast viereinhalbmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland.
Von Deutschland aus bereitet die 2004 vom Nürnberger Zahnarzt Claus Macher gegründete Stiftung die ehrenamtlichen Einsätze vor. Über 30 Zahnstationen gibt es mittlerweile in sechs Ländern: Nepal, Sri Lanka, Rumänien, Indien, Sambia, Mongolei. Natürlich sind die Einsätze nicht leicht. Wer in der Mongolei arbeitet, ist in einem Zelt untergebracht, in einer Jurte. Also kommt es durchaus vor, dass ein Zahnarzt bei seinem ersten Einsatz sagt: Unter solchen Umständen könne er nicht arbeiten, es gebe ja nicht einmal Toiletten. Meistens aber kommen die Europäer schon nach einem Tag mit dem Kulturschock klar und arbeiten dann von früh bis spät in Teams aus sechs Fachleuten — darunter zwei mongolische Zahnärzte, die vom Know-how der europäischen Kollegen profitieren.
Lange Patientenschlangen
Die Warteschlangen sind natürlich viel länger, als die Ärzte es vom dichten Praxisnetz Deutschlands gewohnt sind. Die Patienten sind in der Regel Nomaden und reisen kilometerweit an, zu Fuß, auf dem Pferd oder mit dem Kuhgespann. Also werden sie nicht weggeschickt, sondern behandelt. Viele Patienten bedanken sich danach bei Tuul Sodnompil, die aus der Mongolei stammt. Allein in diesem Sommer erhielt sie 1500 dieser Anrufe. Manch einer wollte „seinen“ Zahnarzt im Gegenzug zum Essen einladen, zu Ziegenfleisch und Stutenmilch. „Das Wenige, das die Menschen haben, teilen sie“, sagt Stiftungsgründer Claus Macher und erzählt von Abenden am Lagerfeuer, an denen Europäer mit Nomaden zusammensitzen, essen und trinken, lachen und singen (durchaus auch Lieder wie das von der „schwäbischen Eisenbahn“). „Man erfährt viel Herzlichkeit und wird mit besonderen Eindrücken beschenkt“, sagt Macher über den „Lohn“ der ehrenamtlichen Tätigkeit.
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Bei ihrem diesjährigen Mongolei-Einsatz – 45 Zahnärzte und ihre Helfer behandelten von Juni bis August rund 6000 Patienten — ist die Stiftung auch an die Grenzen ihrer aktuellen Kapazitäten gekommen. Sodnompil musste in Vollzeit arbeiten, um den Einsatz vorzubereiten und zu begleiten. Laut Macher soll die Stiftung dennoch weiterhin expandieren. Denn nicht nur die sprunghaft gewachsene Zahl an Mitstreitern belegt den Erfolg der Arbeit. Waren es vor zwei Jahren noch 170 Zahnärzte, Zahntechniker, Zahnarzthelfer und zahnmedizinische Studenten, die sich kostenlos engagierten, so sind es heute über 650. Auch die Zusammenarbeit mit Regierungen und Politikern vor Ort trägt Früchte — 2009 wurde beispielsweise ein Vertrag mit dem Gesundheitsministerium in der Mongolei geschlossen, der die Stiftungsarbeit im Land regelt und auf eine solide Basis stellt. „Es ist eine Vertrauensbasis gewachsen, viele Ministerien unterstützen uns mittlerweile“, sagt Macher.
Er, der mit viel Leidenschaft und Ideen ans Werk geht und schon auch mal Wirtschaftsförderung betreibt, indem er Kontakte zwischen deutschen Firmen und einheimischen Politikern herstellt, will die Zahl der Zahnstationen erhöhen, um noch mehr zur zahnmedizinischen Grundversorgung in den sechs Ländern beizutragen. Voraussetzung natürlich: Geld. Die Stiftung finanziert sich über Spenden. Und die Kosten sind immens: Um eine feste Zahnstation (etwa in einem staatlichen Krankenhaus in der Mongolei) einzurichten, sind bis zu 30000 Euro nötig; eine mobile, mit der in abgelegenen Gebieten gearbeitet werden kann, kostet bis zu 10000 Euro.
Spendenkonto: Zahnärzte ohne Grenzen, Kontonummer 5302471 bei der Ev. Kreditgenossenschaft, BLZ 52060410. Infos im Internet unter www.dwlf.org