Unwegsames Land, inmitten einer Stolperwüste mit Straßengräben und Betonpfeilern ein Feldlazarett. Straßenbeleuchtung gibt es nicht. Im Dunklen hilft nur die Taschenlampe. Sie gehört wie die Waffe zu den beiden Utensilien, ohne die sich Silke Pietzka keinen Meter bewegt. Weder im Gebäude, noch im Freien. Die 34-jährige Zahnärztin war bereits zwei Mal in Kundus beziehungsweise Masar-i-Sharif eingesetzt - als Sanitätsoffizier der Isaf-Truppe in Afghanistan. Zuletzt zu Jahresfrist.
"Semifreiwillig", wie Silke Pietzka sagt. Die Bundeswehr habe sie zum Oberstabsarzt befördert, am Fachzahnärztlichen Zentrum des Bundeswehrkrankenhauses Ulm sei ihr die Ausbildung zur Fachzahnärztin für Oralchirurgie ermöglicht worden - "da muss auch B sagen, wer A gesagt hat."
B heißt für die junge Frau aus Baden-Württemberg, jederzeit mit einem Auslandseinsatz rechnen zu müssen. "Da wird nicht lange gefackelt, das geht manchmal ganz schnell", erzählt Silke Pietzka. Und ein wenig belegt klingt ihre Stimme dabei schon. Vor wenigen Tagen erst hat sie geheiratet, plant eine Familie. Die Schicksale der toten und verwundeten Kameraden sind ihr nicht verborgen geblieben. Aber trotz aller Ängste ("Die sind ganz natürlich!") weiß sie, wie nötig sie und ihre Ärztekollegen in Afghanistan gebraucht werden. Für die Betreuung von 5 500 Menschen war Pietzka während ihres jüngsten sechswöchigen Einsatzes in Masar-i-Sharif mitverantwortlich.
Während die Behandlungen in Feisabad in Containern erfolgen, stehen für die medizinische Betreuung in Kundus und Masar-i-Sharif feste Gebäude zur Verfügung, die Feldlazarette. "Hier gibt es eigentlich keinen Unterschied zu den Behandlungseinrichtungen in Deutschland", sagt die Oralchirurgin. Man verfüge über Behandlungsräume, Röntgeneinrichtungen, ein kleines zahntechnisches Labor; alle gängigen Materialien und chirurgisches Instrumentarium seien vorhanden. "Die Arbeit ist sehr interessant und abwechslungsreich, eigentlich die übliche Notfall- und Schmerzsprechstunde", sagt Pietzka, "aber eben unter besonderen Aspekten." Die Patienten müssten nach einer Behandlung immer sofort körperlich und auch psychisch voll einsatzbereit sein. Manchmal werde da schneller ein Zahn gezogen als zu Hause. Für langwierige Behandlungen fehle die Zeit, wenn der Soldat eingeflogen worden ist und der Hubschrauber auf den Rücktransport ins Einsatzgebiet wartet.
Wegen der Sprachbarrieren - die Isaf setzt sich aus 43 verschiedenen Nationen zusammen - müsse manches mit Händen und Füßen oder per Zeichnung erklärt werden. "Und da sind die besonderen klimatischen und hygienischen Bedingungen zu beachten." 50 Grad im Sommer seien nicht ungewöhnlich. Hinzu kämen die Sandstürme.
Am schlimmsten seien die massiven Einschränkungen im privaten Bereich, sagt Silke Pietzka. "Der Kontakt nach Hause fehlt mir." Handy und Internet funktionierten nur sporadisch. Für die Freizeitgestaltung werde eine Röntgeneinrichtung schon mal zum DVD-Rekorder umgebastelt. Aus einer 80 Quadratmeter-Wohnung in einen kleinen Schlafcontainer mit zwei Leuten zu wechseln, sei ihr schwer gefallen, sagt die Oberstabsärztin. "Da gibt es keine Unterschiede wegen des Alters oder des Dienstgrades", erzählt die Oberstabsärztin. Auf die Privatsphäre müsse verzichtet werden. "Und immer die Waffe tragen zu müssen, ist schon komisch."
Froh sind Silke Pietzka und die von ihr geleitete Zahnarztgruppe, wenn Patienten, zu denen auch Einheimische gehören, nur mit normalen Zahnschmerzen kommen. Es gibt aber auch Fälle von schweren Gesichtsverletzungen durch Granatsplitter. Bei solchen Patienten bleibt nicht viel Zeit, sie an der Wache zu überprüfen. Da wird behandelt, "auch wenn einem mulmig zumute ist."
Vorbereitet worden auf gesichtschirurgische Eingriffe und die orale Implantologie sind Silke Pietzka und ihre deutschen Kollegen am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Dort hat der Sanitätsdienst 2009 eine sogenannte Kopfklinik eingerichtet, ein Verbund aus verschiedenen Spezialisten wie Neuro-, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen sowie Augen- und HNO-Ärzten.
Der Ärztliche Direktor der Kopfklinik, Professor Dr. Heinz Maier, erklärt die Notwendigkeit: Während die Häufigkeit von Verletzungen im Brust- und Bauchbereich aufgrund verbesserter Schutzausrüstung der Soldaten abgenommen habe, seien die oberen Körperpartien stärker gefährdet. "Etwa 40 Prozent aller verwundeten Soldaten sind an Kopf und Hals verletzt. Meist lebensbedrohlich."
Die Versorgung solcher Patienten bei Auslandseinsätzen lernen die Sanitätsoffiziere in Ulm beispielsweise bei der Behandlung von Patienten nach Hundebissen, nach Tumoren, nach Verkehrsunfällen oder anderen Unglücken. Maier zeigt Bilder von blutüberströmten Gesichtern ohne Nase, Augen und Kiefer, die erfolgreich rekonstruiert worden sind. "Sie sind vergleichbar mit Kriegsverletzungen", erklärt der Arzt. Und die Erfahrungen mit solch komplizierten Operationen helfen den Sanitätsoffizieren im Ausland. Auch Silke Pietzka in Afghanistan.