Die Minustah-Truppe zieht aus dem Karibikstaat ab. Viele Ziele wurden in dem bitterarmen Land verfehlt. Die Mission kostete 7,3 Milliarden Dollar, die Bilanz ist gemischt.
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[UN-Soldaten aus Kamerun verlassen in d...che die haitianische Stadt Tabarre. | Foto: AFP]
UN-Soldaten aus Kamerun verlassen in der vergangenen Woche die haitianische Stadt Tabarre. Foto: AFP
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[UN-Soldaten aus Kamerun verlassen in d...che die haitianische Stadt Tabarre. | Foto: AFP]
UN-Soldaten aus Kamerun verlassen in der vergangenen Woche die haitianische Stadt Tabarre. Foto: AFP
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PUEBLA. Nach 13 Jahren auf Haiti hat die UNO am Wochenende ihre Flagge eingezogen. Von den 18 Ländern, die sich ursprünglich an der Stabilisierungsmission für Haiti (Minustah) beteiligten, sind nur noch ein paar mit Soldaten vor Ort. Insgesamt kostete die Mission 7,3 Milliarden Dollar, doch die Bilanz ist gemischt.
Jetzt wird es still um die internationale Containerstadt, die nach dem schweren Beben im Jahr 2010 provisorisch direkt am Flughafen errichtet wurde. Bis zum kommenden Sonntag wird der letzte Blauhelm-Soldat Haiti verlassen haben; danach wird dann eine 1200 Mann starke UN-Polizeitruppe den haitianischen Sicherheitskräften unter die Arme greifen. 350 zivile Berater sollen in Sachen Justizreform und Menschenrechte tätig sein.
Es ist das stille Ende einer Mission, die 2004 – unter den Augen von TV-Kamerateams aus aller Welt – begonnen hatte, um dem politischen Chaos, den Umstürzen und Militärputschen in Haiti ein Ende zu bereiten. Wirbelstürme, Krisen, Erdbeben, eine Choleraepidemie und mehrere turbulente Wahlen hat die UN-Truppe Minustah in den 13 Jahren ihres Bestehens auf der Karibikinsel überstehen müssen. Die Bilanz ist mager; der versprochene Quantensprung in eine bessere Zukunft ist ausgeblieben. Haiti steht nun vor der Herausforderung zu beweisen, ob es das Land alleine besser schafft – so wie es rechte Nationalisten und linke Populisten immer behaupten, die beiden politischen Lager, deren Konfrontation das Land seit der Demokratisierung Ende der 80er Jahre immer wieder in Krisen stürzt.
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Vor einigen Wochen kam hoher Besuch aus New York nach Port-au-Prince. UN-Delegierte, Vertreter der haitianischen Regierung und der Zivilgesellschaft wollten einen möglichst sanften Übergang vorbereiten. Doch dann kam es wie so oft: Regierungsmitglieder ergingen sich in warmen Reden. Die UNO forderte, die Haitianer müssten selbst mehr in die Bildung und die Gesundheit investieren, in eine unabhängige Justiz, ein glaubwürdiges Wahlsystem. Vertreter der Zivilgesellschaft in Haiti wiederum forderten Entschädigungen für die von UN-Soldaten eingeschleppte Cholera, an der bislang mehr als 9000 Menschen starben und für die die UNO erst voriges Jahr die Verantwortung übernahm, sowie die Verstrickung von UN-Soldaten in Kinderprostitution im Schutze ihrer Immunität.
"Wenn sie uns nur ein Pflästerchen bringen, können sie gleich wieder verschwinden", sagte die frühere Premierministerin Michele Pierre-Louis erbost. Was für die Geldgeber undankbar klingen mag, ist nicht ganz unberechtigt. Von der nach dem verheerenden Beben im Jahr 2010 zugesagten Hilfe in Höhe von 13 Milliarden Dollar wurden nur sechs Milliarden ausgezahlt. Viele Aufträge gingen an internationale Bau- und Beratungskonzerne. Über die haitianische Regierung wurden nicht einmal zehn Prozent der Hilfe abgewickelt.
Letztlich scheiterte selbst der Wohnungsbau für die 1,5 Millionen Erdbebenopfer an der in Haiti grassierenden Korruption. Die bremst auch die wirtschaftliche Entwicklung des bitterarmen Landes. Haiti lebt hauptsächlich von der Textil- und Fertigungsindustrie und ein wenig Tourismus sowie von Überweisungen ausgewanderter Landsleute an ihre Familien. Die Landwirtschaft ist gegen die billigen US-Importe nicht konkurrenzfähig; daher kann sich die Insel nicht mehr selbst ernähren. Mehr als 60 Prozent der Haitianer sind arm. 86 Prozent der Menschen mit einem mittleren und höheren Bildungsabschluss verlassen das Land.
Verbessert hat die UN-Truppe vor allem die Sicherheit
"Große Herausforderungen liegen vor uns, aber Haiti ist glücklicherweise in einer neuen Phase der Stabilität, was uns Chancen bietet", erklärte der bolivianische UN-Delegationsleiter Sacha Llorenty jüngst. Zweifel daran bleiben. Schuld ist auch die Geopolitik der USA und Frankreichs, die sich bis heute als inoffizielle Schutzmächte des Landes begreifen und bei allen wichtigen Entscheidungen ein Wort mitreden. Ihr Hauptziel ist, die Migration und den Drogenhandel einzudämmen und ihnen genehme Regierungen an die Macht zu bringen.
Das rote Tuch ist vor allem Jean-Bertrand Aristide, der ehemalige, linkspopulistische Armenpriester und zweimal gestürzte Präsident, der noch immer über Strohmänner und -frauen politisch ein Wörtchen mitredet. Aber auch zahlreiche andere Politiker sind in Drogen- und Schmuggelgeschäfte verwickelt und vertreten eigene Interessen.
Ein drittes Problem ist, dass die Kriterien der Weltgemeinschaft von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in dem von Clan-Denken bestimmten Land an ihre Grenzen stoßen. Millionen steckten vor allem die USA, Europa und Kanada nach der Rückkehr zur Demokratie in den 90er Jahren in den Aufbau einer professionellen Polizei – nur um zu sehen, wie sie sich unter Aristide politisierte und zerrieb. Machtkämpfe stürzen das Land immer wieder ins Chaos. Auch als nach den jüngsten Wahlen der Gewinner, der politisch unbeleckte Bananenkönig Jovenel Moise, feststand, eröffnete die Staatsanwaltschaft gleich Ermittlungen wegen Geldwäsche.
Freilich brachte die Minustah auch Fortschritte, sie verhinderte, dass politische Konflikte eskalierten und beförderte die Sicherheit. Nach erstem Zögern griff sie gegen kriminelle Gangs durch. Entführungen und Überfälle gingen zurück. Mit zehn Morden auf 100 000 Einwohner gehört Haiti heute zu den friedlicheren Ländern Lateinamerikas.