Das Zika-Virus hält die Welt in Atem. Angeblich, so hört und liest man täglich in vielen Medien, sind alleine in Brasilien mehr als 4.000 Babys mit schweren Missbildungen zur Welt gekommen, die wahrscheinlich durch den Erreger verursacht wurden. Am Donnerstag gab Margaret Chan, die Generalsekretärin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekannt, dass sie auch deshalb ein Notfallkomitee zum Zika-Virus einberufen wird.
Dieses Emergency Committee kann die Empfehlung zur Erklärung des Globalen Gesundheitsnotstandes geben. Bei der westafrikanischen Ebola-Epidemie im vergangenen Jahr wurde Chan vorgeworfen, durch die monatelange Verzögerung der Ausrufung am Tod Tausender Menschen mitschuldig zu sein. Nun könnte die Generalsekretärin beweisen, dass sie seit Ebola dazugelernt hat.
WHO schlägt Alarm wegen Zika-Virus Wegen des vor allem in Südamerika grassierenden Zika-Virus hat die Weltgesundheitsorganisation eine Dringlichkeitssitzung einberufen. WHO-Chefin Margaret Chan zeigte sich besorgt, dass eine weltweite Ausbreitung des Virus bevorstehen könnte.
Doch Zika ist nicht das neue Ebola. Zika kann sich nur in Ländern ausbreiten, in denen die Überträgermücken der Gattung Aedes heimisch sind. Die Infektion verläuft fast immer harmloser als ein Schnupfen. Und die Gefahr für Schwangere wird von der WHO massiv übertrieben.
Die WHO war vor Zika gewarnt
Zika war in den Lehrbüchern bislang höchstens im Kleingedruckten zu finden. In den Jahren 2013-14 aber rückte das Virus ins Visier professioneller Seuchenjäger: In Französisch-Polynesien gab es den bis dahin grüßten Ausbruch mit wahrscheinlich mehr als 10.000 Erkrankten. Die WHO und die Gesundheitsbehörden in Südamerika waren also gewarnt, als im Mai 2015 die ersten Zika-Infektionen in Brasilien auftraten. Doch Brasilien kämpft bereits seit Jahrzehnten erfolglos gegen die Gelbfiebermücke, Aedes aegypti. Die Mücke ist für über 1,6 Millionen Dengue-Erkrankungen jährlich verantwortlich, von denen im letzten Jahr nach offiziellen Berichten 843 zum Tode führten. Die Dunkelziffer der Todesfälle dürfte weit höher sein.
Aedes aegypti hat sich an die Großstätte Lateinamerikas perfekt angepasst. Während der Malaria-Überträger Anopheles nur auf besonders sauberen Naturgewässern brütet, liebt Aedes schmutzige Pfützen in alten Autoreifen, vergammelten Blumentöpfen und weggeworfenen Coladosen. Als echter Großstädter ist Aedes tag- und nachtaktiv und so nervenstark, dass ihn auch verzweifeltes Wedeln und Schütteln kaum vertreiben kann. Das Versprühen von Insektiziden, das vor der Karnevalszeit an den touristisch wichtigen Punkten wie ein Ritual zelebriert wird, bringt langfristig nichts, solange die Nistplätze in den Favelas unbehelligt bleiben. Gegen die Aedes-Plage in Brasiliens Metropolen gibt es nur ein wirksames Mittel: gründlich Aufräumen. Doch mit den entsprechenden Aufrufen sind bereits mehrere Regierungen gescheitert.
Mit Reisewarnungen wird den Mücken nicht beizukommen sein
Nun sollen es also die WHO und, demonstrativ vor Beginn der Karnevalsaison, 220.000 brasilianische Soldaten richten. Ob die Weltgesundheitsorganisation für Brasilien und die anderen betroffenen Staaten Süd- und Mittelamerikas eine große Hilfe sein wird, darf bezweifelt werden. Mit Reisewarnungen und epidemiologischen Analysen wird den Stechmücken nicht beizukommen sein. Die im Alltag kaum praktikablen Empfehlungen zur Vermeidung von Mückenstichen kennt man in Rio de Janeiro besser als in Genf.
Zudem schürt die WHO die globale Aufregung um das Zika-Virus, indem sie falsche Zahlen zu den angeblichen Geburtsschäden in Brasilien verbreitet. In ihren epidemiologischen Berichten werden die derzeit 4.180 gemeldeten Verdachtsfälle kurzerhand als "Fälle von Mikrozephalie" deklariert, also als Föten oder Neugeborene mit zu kleinem Schädel und schweren neurologischen Schäden. Demgegenüber seien, sagt die WHO, in früheren Jahren nur etwa 150 bis 180 Fälle von Mikrozephalie bei Neugeborenen aufgetreten. Demnach wäre das Risiko für schwangere Frauen, aufgrund einer Zika-Infektion ein missgebildetes Kind zu bekommen, sehr hoch.
Dieser schockierende Vergleich ist jedoch blanker Unsinn. Die brasilianische Gesundheitsbehörde hat die Kriterien für die Meldung eines "Verdachts" bewusst sehr weit gefasst, um möglichst nichts zu übersehen. Beispielsweise gilt jede Schwangere, die einen unklaren Ausschlag bekommt, als Verdachtsfall. Gemeldet werden auch alle Ultraschalluntersuchungen in Arztpraxen, bei denen ein zu kleiner Kopfumfang gemessen wird. Diese Zahlen sind zudem übertrieben, weil unter Schwangeren und ihren Ärzten in Brasilien derzeit die blanke Angst regiert und viele sicherheitshalber alles melden, um keinen geschädigten Fetus zu übersehen. Davon abgesehen ist die Ultraschallmessung des Schädelumfangs im Mutterleib viel fehleranfälliger als die eindeutige Diagnose der Mikrozephalie bei Neugeborenen, mit denen die WHO die Zahlen vergleicht.
Im Vergleich zu den WHO-Zahlen sehen die tatsächlichen Daten, die das brasilianische Gesundheitsministerium auf seiner Website veröffentlicht, wesentlich harmloser aus. Von den 4.180 Meldungen, die bis 23. Januar 2016 bei der Behörde eingingen, wurden bislang nur 732 überprüft. Davon wurden 63 Prozent, also 462 vermeintliche Fälle, sofort aus der Liste gestrichen, weil sie nicht einmal den weitgefassten Kriterien des Melderegisters entsprachen. Bei den verbleibenden 270 Meldungen besteht aufgrund von Ultraschall-, Röntgen- oder Laboruntersuchungen der begründete Verdacht auf eine Verkleinerung des Schädels oder eine infektiöse Schädigung des Nervensystems. Bei sechs dieser Fälle wurde das Zika-Virus nachgewiesen.
Aufgeräumt wird, bis die Touristen fort sind
Dass Zika, ähnlich wie Röteln, neurologische Schäden beim ungeborenen Kind verursachen kann, ist aufgrund der korrigierten Daten anzunehmen. Allerdings werden diese Schäden nur bei einem kleinen Teil der infizierten Schwangeren auftreten. Das Risiko ist viel geringer, als es die WHO mit ihren horrenden Zahlen glauben macht.
Es ist also bislang nicht zu erkennen, dass die Weltgesundheitswächter bei Zika eine bessere Figur als bei Ebola machen. Und die brasilianischen Soldaten werden nur so lange die Hinterhöfe aufräumen, bis der Karneval vorüber ist und die Touristen abgereist sind.
Bleibt zu hoffen, dass die jetzt begonnene Impfstoffentwicklung bei Zika schneller vorankommt als bei Dengue, gegen das nach jahrzehntelangen Fehlschlägen erst im vergangenen Dezember ein Impfstoff zugelassen wurde. Wenn die Forschung sich jetzt endlich auch um den armen Verwandten von Gelbfieber und Dengue kümmert, hat die Panikmache der WHO immerhin auch etwas Gutes bewirkt.
Soldaten sollen Zika-Virus eindämmen Seit Oktober wurden in Brasilien 4.000 Fälle gemeldet. Das Virus überträgt sich durch Stechmücken und ist besonders gefährlich für Schwangere. Impfstoffe gibt es bislang noch nicht, das Auswärtige Amt rät von Reisen in Zika-Gebiete ab.